Sie war keine Frau

Monique Wittig hat die frühe Lesbenbewegung samt Feminismus geprägt. Nun ist sie 67-jährig in Texas gestorben. Ein Nachruf

von WALTRAUD SCHWAB

Wie ein Raunen, nicht wie ein Lauffeuer, verbreitete sich die Nachricht: „Haste gehört? Monique Wittig ist tot.“ Lesben waren die Ersten, die den Satz weitertrugen. Die älteren vor allem. Jene, die zuerst Feministinnen waren, bevor sie sich Lesben nannten.

Wittig, die nun für immer gegangen ist, war eine von ihnen. Es sind diejenigen, die wissen, warum es jenseits der Konstruktion von Mann und Frau noch andere Identitäten gibt. Am Ende des Raunens aber sind vor allem jene über den Tod der streitbaren Französin erschrocken, die den literarischen Anarchismus lieben. Wittig war eine geistreiche Nervensäge. In Tuscon, Arizona, wo sie an der Universität lehrte, ist sie gestorben. Mit 67 Jahren. An Herzinfarkt. Gerade als ihre New Yorker Gefährtin der letzten dreißig Jahre, Sande Zeig, zu ihr gezogen war.

„Monique Wittig? Ja, hab ich gehört, gelesen aber nie.“ So reagieren viele, die nach ihr befragt werden. Ihr Name – ein uneingelöstes Versprechen. Bekannt ist, dass sie französische Lesbenklassiker geschrieben hat. Wie das Buch „Häutungen“ von Verena Stefan, Ende der Siebzigerjahre ein identitätsstiftendes Buch für die Frauenbewegung der alten Bundesrepublik.

Ihr Unterschied: Stefan hat die Frau ihre Häute ablegen lassen, bei Wittig ist auch die Sprache nackt. Die zweite Reaktion auf die Nachricht vom Tod der Schriftstellerin: „Hat die nicht ‚Lesben sind keine Frauen‘ gesagt? Hat einiges bewegt damit. Dekonstruktion. Aufbruch.“ Ansonsten: Ratlosigkeit.

„Lesben sind keine Frauen“, hat die Schriftstellerin also behauptet. Schon in den Siebzigerjahren. Zu verstehen ist der Satz wohl so: Die Zuschreibungen, was weiblich und was männlich ist, stimmen für Lesben nicht, sofern die Geschlechter jeweils als die Summe kultureller und sozialer Differenzen verstanden werden. Eine Frau sei das, das und das. Ein Mann sei so, so und so.

Lesben passen nicht in dieses Schema, weil sie Plätze besetzen, die im heterosexuellen Modell den Männern vorbehalten sind. Weil in der Mann-Frau-Polarität auch eine Hierarchie liegt, stellt diese Herausforderung die männliche Dominanz und damit das heterosexuelle Modell insgesamt in Frage.

Lesben verharren nicht in der den Frauen zugedachten Position. Das sage nichts darüber aus, wie viel Erfolg sie mit ihrer Provokation haben. Bei Schwulen, für die immer noch der Männerdominanzbonus gilt, sei eine solche Kampfansage an die Privilegien des Geschlechts nicht auszumachen. Wittig war ihrer Zeit voraus, als sie dies mit einem einfachen Satz auszudrücken vermochte: Lesben sind keine Frauen.

Die Radikalität der Französin war eine der Sprache – angefangen mit dem Entwicklungsroman „Opoponax“, für den sie 1964, knapp dreißigjährig, einen wichtigen französischen Literaturpreis erhielt. Die Schriftstellerin Marguerite Duras sagte, mit diesem Buch seien neunzig Prozent aller Kindheitsromane überflüssig. Es verwundert nicht, dass Duras der Roman gefallen hat, treibt er doch deren spröden Stil auf die Spitze. Endloshauptsätze greifen in Endlosabsätzen die Endlosschleife des kindlichen Denkens auf. Dabei ist das kindliche Denken in Wittigs Buch noch gar kein Denken, es ist ein Vagabundieren in all jenen Möglichkeiten, die gedacht werden können.

Eine Kostprobe von Seite dreizehn. Das Mädchen, die Hauptfigur, ist noch klein. Ein Vorschulkind. Eine Nonne ist die Erzieherin: „Im Winter zieht man Wollsöckchen an. Man hat vom Wind rote, rauhe Beine. Man spielt mit Schwert unterm Schulhofdach Ringelreihen. Man fragt Schwester, Wo ist dein Mann. Sie sagt, Da oben, und zeigt nach oben. Man schaut zum Himmel. Man sieht nichts. Man sagt zur Schwester, Dein Mann ist nicht zu sehen. Schwester will nicht antworten. Wenn man nicht lockerlässt, sagt sie, dass es sie wirklich nicht wundert. Es sind zu viele Wolken da. Er sitzt dahinter auf einem Sessel. Es ist ja doch vielleicht möglich, dass er gegen Mittag mit der Zeitung hineingegangen ist. Man sagt zur Schwester, Wann kommt er wieder, Er kommt nicht wieder, Wann denn, Nie, Er ist also tot, Nein, er ist nicht tot, Und wohin tut man die Leute, die tot sind, In ein Loch, Aber sie kommen in den Himmel? War einst ein kleines Segelschiffchen, war einst ein kleines Segelschiffchen, das war noch nie-nie-niemals auf der See. Man macht einen Spaziergang.“ So geht es über 250 Seiten. Bis aus dem kleinen Mädchen ein Teenager wird, der sich in eine Mitschülerin verliebt.

In „Opoponax“ gibt es eine Handlung. Sie ist nachvollziehbar. Von den darauf folgenden Romanen, die Wittig schreibt, lässt sich das nicht mehr sagen. In diesem ersten Roman benutzt sie das stets dominierende Pronomen man. Im französischen on ist es aufgrund seiner neutralen Note für die Autorin ein Glücksfall. Sie benutzt es anstelle des Pronomens ich. Mit man verallgemeinert sie die Wahrnehmung eines kleinen Mädchens. Bis hin zur Selbstverständlichkeit, mit der man, das Ich-Mädchen, sich in eine Mitschülerin verliebt. In der deutschen Übersetzung, die 1966 veröffentlicht wurde, ist das man kein Glücksfall mehr, hat das Pronomen doch aufgrund seiner semantischen Nähe zu Mann seine Geschlechtsneutralität verloren.

Die Loslösung der Pronomen von maskuliner Dominanz forciert Wittig in ihrem zweiten, 1969 erschienenen Buch „Les Guérillères“. Schon der Titel ist ein Wortspiel aus Krieg, Guerilla und weiblicher Flektion. Visionen und Utopien unabhängiger Frauen gepaart mit Kampfeslust kommen darin vor. Der Titel der deutschen Übersetzung von 1980, „Die Verschwörung der Balkis“, deutet an, dass die Präzision der Wittig’schen Literatur im Deutschen nicht funktioniert.

Ihr drittes Buch, das 1973 in einem renommierten Pariser Verlag erschien, hat den Titel „Le corps lesbien“, der lesbische Körper. Vor dreißig Jahren war dies eine Provokation, denn wortgewaltig, poetisch und leidenschaftlich beschreibt Wittig darin jede äußere und innere Faser des Körpers einer Frau und jeden Bruchteil einer Sekunde, den zwei Frauen, die im Liebesakt ineinander aufgehen, erleben.

Wieder vollzieht sie auf der sprachlichen Ebene nach, was sie auf der übertragenen ausdrücken will. Ihre Hauptfigur ist ein j/e, ein gespaltenes I/ch, das sich in ein t/u, ein gespaltenes D/u verliebt. Damit setzt sie die Zerrissenheit zwischen Frau-, Lesbe- und Ichsein und zwischen Geist und Körper in Szene. „Du kannst nur verführen, was du gern hast – im Gegensatz zur heterosexuellen Welt, wo man verführt, um zu dominieren“, sagt Wittig in einem Emma-Gespräch im Jahre 1986.

Wittigs nächstes Buch, das sie zusammen mit ihrer Freundin, der US-amerikanischen Filmemacherin Sande Zeig schrieb, ist ein Lexikon mit dem Titel „Lesbische Völker“. Von „Aas“ bis „Yamswurzel“ offeriert es Versatzstücke von Literatur, in denen das lesbische Thema berührt wird. Kostprobe unter L: „LESBE – ‚Wenn du arm bist, biste ne KV / und bist du reich, dann bist du sapphisch // aber bist du weder arm noch reich / dann biste ne Lesbe, ne Lesbe, genau die sollst du sein // Wenn du stark bist, biste ne KV / und bist du schwach, dann bist du sapphisch // aber bist du weder stark noch schwach / dann biste ne Lesbe, ne Lesbe, genau die sollst du sein // Wenn du irdisch bist, biste ne KV / und bist du ätherisch, dann bist du sapphisch // aber bist du weder vom einen noch vom anderen Ufer / dann biste ne Lesbe, ne Lesbe, genau die sollst du sein‘ (Eleanor Hakim, Lied, Ein lesbisches Stück für Lucy, Großes Land, Erster Kontinent, Konkrete Zeit).“ 1977 wird Roland Barthes Zitatencollage „Fragmente einer Sprache der Liebe“ veröffentlicht. Sie wirkt wie das heterosexualisierte Echo auf Wittigs und Zeigs Buch.

Als am 26. August 1970 ein paar Französinnen am Pariser Triumphbogen für die Frau des Unbekannten Soldaten Blumen niederlegten, war Wittig dabei. Es war eine Aktion, die Aufsehen erregte, weil sie Wahrnehmung erweiterte, weil sie auf Leidtragende eines Krieges hinwies, die in der Geschichtsschreibung nicht vorkommen. Später wurde dieses Ereignis zur Geburtsstunde der französischen Frauenbewegung erklärt.

Nach ihrem Feminismusbegriff befragt, antwortet Wittig dem Nouvel Observateur aber bereits im November 1970: „Frauen? Kennen wir nicht. Sie sind eine Erfindung des Patriarchats. ‚Die Frauenbewegung‘? Gibt es nicht. Das ist eine Erfindung der Presse. Wir sind nicht die Bewegung. Wir sind keine Gruppe. Wir sind ein Phänomen.“

Wittigs Radikalität spaltet die Feministinnen; es kommt zum Zerwürfnis. Dies ist einer der Gründe, warum die Schriftstellerin bereits Mitte der Siebzigerjahre in die USA zieht. Wobei Wittigs Person keineswegs polarisierte. Sie galt als ausgesprochen scheu. Über ihr Privatleben sprach sie nie. Ihre Schriften hingegen rührten sehr wohl auf. Ihr lesbisch-feministisches Selbstvertrauen, das sie sowohl literarisch als auch theoretisch auszeichnete, fiel in den USA auf fruchtbareren Boden als in Europa und ging in den Neunzigerjahren in der Gender- und Queerdebatte auf. Ihr Eigensinn, der in den USA durch mehr Anerkennung auch stärker im Mainstream aufging, wird ihr in Europa erst durch die Auseinandersetzung mit ihrem Tod zurückgegeben.

Waltraud Schwab, 41, ist Reporterin der Berliner Lokalausgabe der taz