: Die Lizenz zum alternativen Heilen
Besonders für Frauen ist Heilpraktiker ein Traumberuf. Doch die Ausbildung kostet viel Zeit und Geld. Die Prüfung istschwer und schulmedizinisch geprägt. Bis die eigene Praxis läuft, dauert es Jahre – sofern überhaupt jemand kommt
von PIA M. SOMMER
„Das ist die beste Arbeit der Welt“, sagt Michael Reese. „Diesen Beruf kann ich moralisch hundertprozentig vertreten. Außerdem macht er Spaß und wird nie langweilig.“ Reese ist Homöopath. Einmal auf die klassische Homöopathie gestoßen, ließ ihn das naturheilkundliche Verfahren nicht mehr los. „Das hat mein persönliches Weltbild so in Frage gestellt, dass ich weitermachen wollte“, erinnert er sich.
Naturheilkunde wird immer populärer. Nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts glauben drei von vier Deutschen, dass sie neben der Schulmedizin eine wichtige Rolle in der Gesundheitsvorsorge spielt. Früher waren Naturheilkundler oft die letzte Anlaufstelle für ältere Menschen mit chronischen Leiden. In jüngster Zeit suchten immer mehr Eltern Rat bei Heilpraktikern, berichten Die Deutschen Heilpraktikerverbände (DDH). Ein Grund sei, dass Allergien bei Kindern und Jugendlichen stark zunehmen.
Rund 15 Millionen Mal werden Heilpraktiker jedes Jahr konsultiert, besagt die Statistik der Union Deutscher Heilpraktiker (UDH). Laut dem Berufsverband bedienen zurzeit etwa 20.000 Heilpraktiker die steigende Nachfrage, etwa zwei Drittel von ihnen Frauen. Und: Das Interesse, Heilpraktiker zu werden, ist groß. Jährlich wachse die Zahl der zugelassenen Heilpraktiker um fünf Prozent, so der UDH. Ein Grund ist sicher die Vielseitigkeit des Berufs. „Ein einheitliches Berufsbild gibt es nicht“, erklärt Reese. Das hänge jeweils davon ab, welche Therapieformen jemand praktiziert. „Alle Heilpraktiker vereint jedoch, dass sie sich in heilender Form mit Menschen beschäftigen.“
Der Weg dahin ist allerdings beschwerlich. Um heilen zu dürfen, müssen Heilpraktiker die Zulassungsprüfung beim zuständigen Gesundheitsamt bestehen. Keine leichte Aufgabe. In der etwa dreistündigen Prüfung fragt der Amtsarzt nicht nach naturheilkundlichen Methoden, sondern klopft schulmedizinisches Wissen ab. Unter anderem stellt er 60 Multiple-Choice-Fragen, von denen der Kandidat 75 Prozent richtig beantworten muss. Das schaffen sogar ausgebildete Mediziner häufig nicht, berichtet Reese. Entsprechend schlecht sieht die Prüfungsbilanz aus: 70 bis 80 Prozent fallen durch.
Wie sich ein angehender Heilpraktiker auf die Prüfung vorbereitet, ob im Selbststudium, per Fernlehrgang oder mit Hilfe einer Schule für Naturheilkunde, bleibt ihm überlassen. „Der Vorteil einer Schule ist vor allem der menschliche Faktor: Rückmeldungen und Motivationsschübe“, erklärt Günter Borzym-Kammüller, Leiter der Heilpraktikerschule Amara in Bielefeld.
Bei Amara und anderen Heilpraktikerschulen findet sich das gleiche Bild: In Vollzeit-, Teilzeit- oder Crashkursen, abends oder am Wochenende, büffeln die angehenden Heilpraktiker gesetzliche und vor allem medizinische Grundlagen wie Anatomie, Physiologie und klinische Untersuchungsmethoden.
Nur rund ein Viertel der Zeit verbringen sie mit den Heilmethoden und üben etwa Akupunktur, Chiropraktik, Ausleitungsverfahren wie Schröpfen und Blutegelsetzen oder Psychotherapie. Zeitaufwendiges Lernen neben der Schule ist für alle unerlässlich, die es mit der Heilkunde ernst meinen.
Außerdem ist eine Ausbildung zum Heilpraktiker nicht ganz billig. Ein Vollzeitlehrgang, der zwischen 24 und 30 Monaten dauert, kostet bei Thalamus (Essen) etwa 4.800, bei Amara (Bielefeld) rund 6.000 und bei Paracelsus (bundesweit) knapp 8.600 Euro – jeweils plus Einschreibegebühren. Die Prüfungsgebühren liegen zudem je nach Bundesland zwischen 530 und 550 Euro.
Bei der Auswahl der Schule heißt es nicht nur schauen, ob einem der Stil der Schule passt. „Interessenten sollten vier Wochen probeweise am Unterricht teilnehmen, bevor sie einen Vertrag unterschreiben“, rät Ulrich Sümper vom Bund Deutscher Heilpraktiker (BDH). Noch wichtiger sei aber, eine Schule zu finden, die eine hohe „Durchbringerquote“ hat, meint Reese. „Am besten ist es, Leute zu fragen, die die Prüfung gemacht haben.“ Doch wie findet man die? „Eine Anzeige aufgeben oder einfach bei Heilpraktikern anrufen.“
Nach Berlin umgezogen, praktiziert Reese seit einigen Monaten wieder. Nun beginne alles von vorn, sagt er. „Bei einer Homöopathiepraxis rechnet man fünf bis sieben Jahre, bis man davon leben kann.“ Bei anderen Therapieformen gehe es schneller. Doch die Erfahrung zeige, dass rund 90 Prozent aller Praxen nach dem ersten Jahr wieder schließen. Der Grund: keine Patienten. Noch arbeitet Reese hauptberuflich als Sozialarbeiter.