Talent lässt sich essen

„Was ich am deutschen Film hasse!“: Die neu gegründete Deutsche Filmakademie tagte erstmals öffentlich in der Berliner Akademie der Künste

Alle reden über ihn, aber keiner weiß, was das eigentlich ist: der deutsche Film. Bekanntermaßen besteht die bislang beste Antwort in einer weiteren Frage: Wer ist das eigentlich? Also unter anderem diejenigen Leute, die in Deutschland Filme produzieren, schneiden, drehen, ausstatten, vertonen, die vor der Kamera stehen oder dahinter. Einige davon haben sich im vergangenen Herbst zusammengetan, um die Deutsche Filmakademie ins Leben zu rufen, deren Zweck laut Satzung darin besteht, „den deutschen Film als wesentlichen Bestandteil der deutschen und europäischen Kultur zu fördern“. Womit man wieder bei der Ausgangsfrage angelangt ist, was da eigentlich gefördert werden soll.

Zehn der Akademiemitglieder stiegen am Sonntag in der Akademie der Künste aufs Podium, um sich auf der ersten öffentlichen Veranstaltung der noch jungen Filmakademie zu einem beliebten Gesprächsthema zu äußern: „Was ich am deutschen Film hasse!“ Die Statements waren dröge oder provokant, improvisiert oder abgelesen, hoffnungsvoll oder selbstzweiflerisch, verwirrt oder präzise. Falls das deutsche Filmemachen aber so widersprüchlich und unterschiedlich temperamentvoll sein sollte wie das Reden darüber, besteht unter Umständen noch Grund zur Hoffnung.

Versöhnlich gab sich Senta Berger: Der provokante Titel sei eigentlich eine „verkappte Liebeserklärung“, meinte die Filmakademie-Präsidentin zur Begrüßung. Tom Tykwer erzählte die Gutenachtgeschichte eines jungen Filmemachers, dessen neues Projekt ihm von allen Seiten bloß Schulterklopfen einbringt statt einer Finanzierung und das achselzuckende Bedauern: Geht nicht, wegen der Quote. Tykwer vermutete, es müsse einen „geheimnisvollen Virus“ geben, der dafür verantwortlich sei, dass das Denken in der deutschen Filmbranche so träge geworden ist. Und schloss: „Es muss alles anders werden, aber zuerst im Kopf.“ Jürgen Vogel wünschte sich mehr Filme darüber, wie die Deutschen tatsächlich seien: spießig, autoritätshörig, paragrafengeil. „Und dann, dass man darüber lachen darf.“

Michael Verhoeven griff die „Bescheidenheit“, die „Verlogenheit“ und die „Parolen“ der Filmbranche an, wunderte sich, dass Kulturstaatsministerin Christina Weiss nicht anwesend war, und rief die anwesenden Akademie-Mitglieder optimistisch auf: „Wir brauchen uns nicht zu verstecken.“ Wünschenswert schien ihm eine striktere Trennung der Film- von der Fernsehbranche, denn im Augenblick gelte: „Alle Kinofilme sind in Wirklichkeit Fernsehfilme.“ Dominik Graf wollte den deutschen Film „mutiger“ haben, Caroline Link „erwachsener“. Filmhochschullehrer Rosa von Praunheim forderte nicht nur „die Abschaffung der Filmhochschulen“, sondern hatte gleich einen ganzen Katalog voller Vorschläge mitgebracht. Neben „Selbstmordanschlägen deutscher Regisseure, um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen“, zählte er „Prügelstrafen für schlechte Regisseure“ sowie freiwillige Herz- und Hirnspenden bekannter Regiegrößen auf, denn: „Talent lässt sich essen.“

Corinna Harfouch gestand, sie wisse nicht, was der deutsche Film sei, Oskar Roehler redete über seinen Selbsthass, und Florian Gallenberger erinnerte an die Pflicht, Geschichten zu erzählen und die Aufgabe der Kinos, „grundlegende, sinnstiftende Säule der Gesellschaft“ zu sein. Bernd Eichinger wollte eine Liste der ihm liebenswerten Dinge im deutschen Film vorlegen und kam nicht über die Fünfziger und Heinz Rühmann hinaus.

So viele Köpfe, so viele Meinungen. Immerhin fanden die Mitglieder der Filmakademie in einer anderen Angelegenheit noch am selben Nachmittag zu einer Stimme. In einer gemeinsamen Resolution appellierten sie an den Hauptverband deutscher Filmtheater (HDF), die geplante Klage gegen die Novellierung des Filmförderungsgesetzes wieder fallen zu lassen. Die Kinobesitzer beklagen eine strukturelle Benachteiligung: Sie selbst werden per Gesetz zu einer Erhöhung ihrer Abgaben an die Filmförderungsanstalt gezwungen werden, während die Fernsehanstalten von einer Pflichtabgabe weiterhin verschont bleiben. Deren Leistungen erfolgen freiwillig und können sogar in Form von „Sachleistungen“, sprich Werbezeit für deutsche Filmproduktionen, abgegolten werden. Diese „Ungleichbehandlung“ hält auch die Deutsche Filmakademie „für schwer erträglich“. Dennoch warnt sie vor dem Gang vor Gericht, der „auch für die Kinounternehmen selbst katastrophale Folgen“ haben werde. Neben einer Neustrukturierung der Filmförderung sieht das Gesetz eine Erhöhung der Fördermittel um rund 26 Mio. Euro vor. DIETMAR KAMMERER