Ironie, Sex und Liebe zu den Menschen!

Die Werbeagentur „Zum Goldenen Hirschen“ hat nicht bloß den Grünen die Wahl 2002 gerettet. Sie versöhnt Gutmenschen und die zynische Werbewelt. Scheitert sie jetzt an der Aufgabe, Rot-Grün in der Kanzlerdämmerung sexy zu machen?

VON ROBIN ALEXANDER

Das ist ein Ort, wie es ihn nicht viele gibt: Hier wird daran gearbeitet, was das Volk denken soll. Über seine Regierung.

Selbstverständlich stehen hier keine tausend gleichen Schreibtische mit tausend gleichen Beamten dahinter wie in George Orwells berühmten Ministerium der Liebe. An diesem Ort fehlen selbst die realen Zeichen der Macht: Keine Wände aus Glas gibt es hier, keine Ledersessel und keine Sekretärin auf Pumps. Dafür Sonnenblumen, die auf einem Tresen welken, hinter dem ein Mädchen steht, das auch eine streikende Studentin sein könnte. An den Wänden lehnen Fahrräder mit extradicken Reifen, wie man sie braucht im holprigen Berlin.

Die Werbeagentur „Zum Goldenen Hirschen“ residiert nicht in Mitte, dem geschäftigen Regierungsbezirk, sondern arbeitet am Rand, im entspannten Kreuzberg. Am Ufer eines Kanals, neben Kneipen, die Freischwimmer heißen und Club der Visionäre.

Schröder gut finden

Guter Ort. Für ein kleines Stadtmagazin oder ein mittleres Independent-Label. Aber hier wird im Auftrag der Bundesregierung gearbeitet: Bernd Heusinger, 38, Mitgründer und Geschäftsführer, ist zuständig dafür, dass die Leute gut finden, was Gerhard Schröder und seine Minister beschließen. „Zum Goldenen Hirschen“ ist seit 2003 die so genannte Leitagentur des Bundespresseamtes, arbeitet für das Umweltministerium, für das Wirtschaftsministerium, für die Hartz-Reformen und das Dosenpfand. 88 Millionen Euro gibt die Regierung nach den Recherchen des Branchenblattes politik und kommunikation in diesem Jahr für ihre Außendarstellung aus. Wie viel davon bekommen Heusingers Hirschen? Nur einen Bruchteil, aber einen Bruchteil, den er nicht nennen will: „Dann denken die Leute: Riesensumme, Wahnsinn. Dabei sind 90 Prozent davon Schaltkosten – für Anzeigen und Plakate. Bei uns bleibt nur der kleinste Teil.“

Falsche Botschaften vermeiden ist Teil von Heusingers Geschäft.

– Bitte schreiben Sie nicht: Typischer Werber im schwarzen Outfit.

– Aber Sie tragen nur schwarz.

– Nur, weil vor vier Tagen mein Vater gestorben ist. Normalerweise ist meine Kleidung sehr bunt.

Bunt ist wichtig. Bunt passt zu den Hirschen wie Kreuzberg oder Fahrräder. Nur nicht kalt wirken, nicht glatt oder gar zynisch. Dabei sind die Hirschen kein groß gewordener Alternativbetrieb mit gebrochenem Verhältnis zur eigenen Professionalität. Aber ihr wichtigster Kunde. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen hat die Hirschen zu einer Top-Adresse gemacht. Im Moment arbeitet man im Hamburger Wahlkampf zusammen.

„An politische Werbung hat damals keiner von uns gedacht“, erzählt Heusinger, der 1995 „Zum Goldenen Hirschen“ mit zwei Freunden in Hamburg gründete. Bekannt wurde der damals kleine Laden mit aggressiven Angriffen: Für den Telefondienstleister Mobilcom druckten die Hirschen „T-Offline“ im Stile von „T-Online“. So etwas ging gut in der New Economy. Aber die stirbt 2001: Auftraggeber wie der Mobilcom-Chef stehen jetzt vor Gericht, die Wirtschaft setzt wieder auf konservative Werbung, der Umsatz der Hirschen bricht ein.

2002 trifft die Agentur in der Krise auf eine Partei in der Krise: Als die Grünen die Hirschen beauftragen, liegen sie unter 5 Prozent und wirken von der Regierungsbeteiligung zermürbt. Nach der Kampagne holen sie 8,7 Prozent und retten das rot-grüne Projekt. „Guerilla-Marketing“ nennen die Hirschen wichtigtuerisch ihr Konzept: gute Fotos, Ironie, Sex und immer ein Überraschungsmoment. Das Plakat „Bunte Republik Deutschland“ zeigt schwarze und gelbe Gartenzwerge, „Die Hälfte der Macht den Männern!“ zeigt eine junge Frau, die ihren Freund als Fußbank benutzt. Die Masche ist einfach, aber wirkungsvoll: Ein besonderes Detail erschafft einen neuen Kontext für Solarenergie, Atomausstieg oder Öko-Lebensmittel. Themen in die Jahre gekommener Lehrer erscheinen plötzlich wieder angesagt. „Wir haben den grünen Marken-Kern wiederbelebt“, nennt das Heusinger.

Die Inspiration dafür holen sich die Hirschen manchmal aus dem alternativen Urschleim: Eine Fototapete von Kreuzberger Graffitis ziert die Hirschenräume. „Yuppies geht golfen“, schmierte da jemand neben „Keine Macht den Schwänzen!“. „Schwänze an die Macht“ wird daraus für ein Plakat, das den Hinterkopf einer Frau mit Pferdeschwanz in einem Chefsessel zeigt. Angeblich Joschka Fischers Lieblingsmotiv.

Die Hirschen versöhnen die Werbung und das Gutmenschentum. Die Oberfläche mit den Inhalten. Die Professsionalität mit den besten Absichten. Sie arbeiten für amnesty international und für BMW, machen Kampagnen „Keine Gewalt gegen Frauen“ und „Rocken Poppen Dancen“ für einen privaten Radiosender, preisen Deutschlands einzigen unabhängigen Saatguthersteller und Super RTL. Heusinger wiegelt ab: „Wir bekommen höchstens 20 Prozent unserer Aufträge aus dem Politmilieu.“ Er achtet sogar darauf, dass sich seine Mitarbeiter nicht die Denke und Sprache der Engagierten aneignen: „Wer bei uns politische Werbung macht, muss immer auch bei einem Konsumprodukt mitarbeiten, damit kein Gewöhnungseffekt entsteht.“

Der Versuch, Distanz zu erhalten, ist bitter nötig. Denn die Grünen erdrücken ihre Agentur fast vor Dankbarkeit. Als die Hirschen als „Beste Agentur des Jahres“ ausgezeichent werden, sprudelt die grüne Wärmequelle Claudia Roth: „Dafür liebe ich die Hirschen. Dass sie den Adressaten ernst nehmen, ironisch, kritisch, offensiv – aber nicht zynisch – nicht besserwisserisch – nicht vernichtend sind. Sie bleiben immer menschlich. Die Liebe zu ihrer Arbeit hab ich immer auch erlebt als Liebe zu den Menschen mit all ihren Schwächen und Defekten.“

Die Liebe zu den Menschen mit all ihren Schwächen macht sich für die Hirschen nicht nur in warmen Worten bezahlt. Nach der mit ihrer Hilfe gewonnenen Bundestagswahl verdrängen die Hirschen die Agentur Odeon Zwo aus der begehrten Position der Leitagentur des Bundespresseamtes. Odeon Zwo gelten als alte SPD-Spezis und wollen ihre Niederlage gegen die neuen Grünen-Freunde nicht hinnehmen, sie schalten gar das Bundeskartellamt ein – vergeblich.

Jetzt sind die Hirschen wichtig für Rot-Grün geworden: Ihre Plakate und Spots können die kritische Öffentlichkeit umgehen und die Leute direkt erreichen. Aber womit? Die Arbeit eines Kanzlers, der sich selbst nicht mehr seiner Partei zumuten will, ist schwer vermittelbar. Und Franz Müntefering spricht eher die Nachhut der Arbeiterbewegung an als die Postmaterialisten, die mit den Hirschen ihre Ethik wieder schick finden.

Der erste Job der Hirschen im Regierungsauftrag war, die Agenda 2010 mit Plakaten und Anzeigen zu popularisieren. Kann man die Einschränkung des Kündigungsschutzes witzig darstellen? Sind schärfere Zumutbarkeitskriterien sexy? Die Slogans, die den Hirschen einfielen, waren „Mehr Jobs“, „Steuern senken“ und „Familie und Beruf“. Heusinger verteidigt die Langeweile tapfer: „Auch die 2010-Kampagne hat das typische Hirschen-Element: die Überraschung.“ Er meint Rotstiftkorrekturen wie in einer Klassenarbeit, die aus „Bildung fordern“ „Bildung fördern“ machen. Irgendwie sind sich die Hirschen schon treu geblieben. Auch die Agenda-2010-Plakate sehen nach Kreuzberg aus: als hätten sich Sprayer über die simplen Botschaften lustig gemacht.

Die Kampagne zur Agenda 2010 startete schon, als nicht klar war, wie die einzelnen Maßnahmen tatsächlich aussahen. Heusinger, der so erfolgreich mit politischer Werbung war, gibt es nicht zu, aber er hadert mit der Politik: Er soll den Leuten Veränderung schmackhaft machen, die der Kanzler vielleicht morgen schon wieder absagt. Es scheint nicht einfach, dem Volk zu vermitteln, was es denken soll – über diese Regierung.