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Archiv-Artikel

Vereine zahlen die Zeche

Nach dem Champions-League-Aus des TBV Lemgo im Halbfinale findet der Handball-Europapokal ohne deutsche Teams statt. Der nach der Vizeweltmeisterschaft erhoffte Boom bleibt aus

aus Lemgo JÖRG HAGEMANN

Verschwitzt und verschmitzt verfolgte Magnus Wislander nach dem Europacup-Halbfinale in der Lemgoer Lipperlandhalle die Pressekonferenz in der angrenzenden Mensa, als plötzlich sämtlicher Lausbubencharme mit dem 39-jährigen Welthandballer des Jahrhunderts durchging. „Max“ Wislander, zuletzt zwölf Jahre lang der Spiritus Rector beim THW Kiel, öffnete den Reißverschluss seiner Trainingsjacke und gab den verblüfften Zuschauern einen Blick frei auf ein T-Shirt mit drei Wörtern: „Max is back“ – und der TBV Lemgo ist weg.

Es war das erste und einzige Mal an einem durch und durch frustrierenden Nachmittag, dass auch Fynn Holpert zumindest der Anflug eines Lächelns über das Gesicht huschte. Mit dem 35:37 gegen den schwedischen Tabellenführer Redbergslids IK ist auch der letzte deutsche Vertreter aus den diesjährigen internationalen Wettbewerben ausgeschieden, was dem TBV-Geschäftsführer aus unterschiedlichen Gründen Sorgen bereitet. Für ein mögliches Finale gegen den spanischen Titelverteidiger Ciudad Real hatte der TBV vor zwei Wochen bereits einen Vorvertrag mit der 10.500 Zuschauer fassenden Preussag-Arena in Hannover unterzeichnet. Ein Schriftstück für den Reißwolf. Der einmalige Wechsel von der mit 3.100 Zuschauern gegen die Schweden nicht ausverkauften Lipperlandhalle in die niedersächsische Handball-Diaspora hätte dem TBV Lemgo „ein riesiges Vermarktungspotenzial eröffnet“. Stattdessen muss Holpert nun gegen die Frustration ankämpfen.

„Das war eine Frechheit. Wer derart fahrlässig mit solch einer Chance umgeht, der wird stagnieren“, rechnete der ehemalige Nationaltorhüter vor, dass „die wirtschaftliche Freiheit für die Verpflichtung eines weiteren Spielers“ vorerst nicht gegeben sei. „Nur wenn wir Meister werden, wären wir diesbezüglich wieder handlungsfähig“, geht Holpert nun mit gewaltigem Bauchgrimmen in den Bundesliga-Endspurt. Bei fünf Heim- und nur noch drei Auswärtsspielen sowie sechs Punkten Vorsprung spricht in der nationalen Meisterschaft auf dem Papier zwar vieles für den TBV, doch bereits im vergangenen Jahr stürzten die nur mit einer dünnen Personaldecke ausgestatteten Lipper auf der Zielgeraden noch ab.

Nach einer berauschenden Hinserie, in der der TBV mit 34:0 Punkten Bundesliga-Geschichte schrieb, macht sich bei dem Kleinstadt-Klub aus dem Ostwestfälischen nun der große Kräfteverschleiß bemerkbar. Top-Star Daniel Stephan fehlt nach einem Achillessehnenriss noch bis in den Herbst hinein. Wenngleich Trainer Volker Mudrow die drei Niederlagen in Folge „nicht an einzelnen Personen festmachen möchte“, ist für den Manager auffällig, „dass seit den wenig Sinn machenden Freundschaftsländerspielen im März bei uns nichts mehr läuft“. Mit Baur, Schwarzer, Ramota und Kehrmann hatte der „TBV Deutschland“ vier Stammspieler abgestellt. „Die Nationalmannschaft ist zwar erfolgreich, doch die Vereine müssen die Zeche dafür zahlen“, meint Holpert einen der Gründe für das sang- und klanglose Ausscheiden der deutschen Europapokal-Streitmacht zu kennen. Seit 1985 haben die deutschen Handball-Botschafter nicht mehr so schlecht abgeschnitten wie in diesem Jahr, wo nur der TBV Lemgo den Sprung in ein Halbfinale schaffte.

Champions-League-Sieger SC Magdeburg war gemeinsam mit dem THW Kiel im Viertelfinale auf der Strecke geblieben. Auch Nordhorn schaffte im EHF-Cup nicht den Sprung unter die letzten vier. Mit TUSEM Essen und der SG Flensburg waren zwei weitere Erstligisten bereits im Achtelfinale auf der Strecke geblieben. Dabei hatten die DHB-Vertreter seit 1996 zwölf Europapokale eingeheimst.

Dass der durch die Vize-Weltmeisterschaft in Portugal erhoffte Boom nicht mal auf dem Papier stattfindet, verdeutlicht zwei Monate später auch die Tatsache, dass die vermeintlich stärkste Liga der Welt vorerst ihren festen Sendeplatz im Fernsehen einbüßt. Weil das DSF kurzfristig die Übertragungsrechte für die Fußball-Champions-League erworben hat, wurde am Mittwoch das „Spiel der Woche“ zwischen dem TBV Lemgo und dem Wilhelmshavener HV kurzfristig aus dem Programm gestrichen. Stattdessen überträgt der Spartensender Juventus Turin gegen den FC Barcelona. Noch eine Niederlage für Holpert und die deutsche Handball-Zunft.