spd : Kerngeschäft und Zumutbarkeiten
Ist Schröders Rückzug vom Parteivorsitz und die Erhebung Münteferings auf den Schild nur eine weitere Illustration der These „Wir spielen alle Theater“? Geht es darum, dass Rollen zugewiesen und ausgefüllt werden? Also hier der Meisterchirurg Schröder, der die notwendigen Operationen am Krankenmaterial durchführt, und dort der Reha-Spezialist Müntefering, der dem Patienten beibringt, wie künftig guten Mutes durchs Leben zu humpeln sei? Also eine Aufgabenteilung, bei der die SPD nur noch als Objekt seelischer Nachbehandlung figuriert? Das kann nicht gut gehen.
KOMMENTARVON CHRISTIAN SEMLER
Gewiss, die Institution „Parteivorsitzender der SPD“ hat in letzter Zeit stark gelitten. Von den auf Willy Brandt folgenden Amtsinhabern haben sich mindestens drei als unwürdig erwiesen, des Vorsitzenden August Bebels Taschenuhr, diese wichtigste Antiquität der Partei, mit sich herumzutragen. Aber täuschen wir uns nicht. Nach wie vor haftet am SPD-Vorsitz die Aufgabe der Sinnstiftung gegenüber der zusammengeschmolzenen Schar der Parteiaktivisten. Der Begriff „Parteibasis“ ist zwar selbst ein Kunstprodukt der Medien, angeblich der Hort dichten sozialdemokratischen Milieus und emotionaler Bindungen, die Müntefering aufs Neue festigen soll. Aber selbst wenn diese Zustandsbeschreibung zuträfe, so bliebe doch die bohrende Frage vieler Mitglieder, warum zum Teufel sie eigentlich der Tradition treu bleiben und Sozialdemokraten bleiben sollen. Wohlfühltherapie nach dem Motto „Münte – einer von uns“ reicht dann nicht aus.
Gleichsam als Präludium seiner Amtsführung hat sich deshalb Müntefering auf sozialdemokratische Grundwerte berufen und sie mit der Politik des Kanzlers zu harmonisieren versucht. Die Leitlinie lautet: sich an die widrigen Umstände anpassen, aber den Kern, also eine Politik sozialer Gerechtigkeit, bewahren. Gewiss eine dehnbare Maxime, aber nicht endlos strapazierbar. Die Lasten gerechter verteilen? Nicht mit Schröder. Gleichheit der Lebenschancen in Schule und Ausbildung? Geht schlecht zusammen mit dem Projekt der Eliteunis. Mit einem Wort: Müntefering muss das Kerngeschäft so definieren, dass die Partei ein zuverlässiges Kriterium in die Hand bekommt, was an „Reform“ noch unter sozialdemokratischer Flagge segeln kann. Ob er will oder nicht, er muss Grenzen setzen in einer Partei der unbegrenzten Zumutbarkeiten.
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