Die Sache mit dem Tempodrom

An Peter Strieders Stuhl wird gesägt. Der Regierende stellt sich hinter seinen Senator. Ist die „Tempodrom-Affäre“ rot-grüner Filz – oder ein vermurkster Versuch, linke Berliner Kultur zu retten?

VON ADRIENNE WOLTERSDORF

„Es gibt keinerlei materiellen Vorwurf, der sich begründen lässt,“ sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) gestern der RBB-Abendschau. Und stellte sich damit hinter seinen in Schlagzeilen und Kritik geratenen Bausenator und SPD-Landeschef Peter Strieder.

Angesichts des am Montag von CDU und FDP initiierten Tempodrom-Untersuchungsausschusses gab sich Strieder gestern gelassen. „Das find ich gut, weil damit kann man möglichst schnell alles klären“, sagte er dem Sender. Zum Sponsoring der Wahlparty im Oktober 2001 durch einen ehemaligen Bauunternehmer, dessen Unternehmen am Bau des Tempodroms beteiligt war, sagte Strieder: „Parteien leben von Spenden und Sponsoring. Das ist notwendig. Ich sehe da überhaupt kein Problem.“ Schließlich sei der Unternehmer nicht mehr aktiv.

Dennoch, so schnell lässt sich die Frage nach dem, was der Senat damals eigentlich auf Kosten des Steuerzahlers beschlossen hatte, nicht zufrieden stellend beantwortet. Seit 2001 hat das steinerne Zelt am Kreuzberger Anhalter Bahnhof die Berliner Bürger rund 7,9 Millionen Euro gekostet (siehe Kasten), zuzüglich vier Millionen Mark Lottomittel – obwohl längst absehbar war, dass die Landeskassen leer sind.

Am 9. Oktober 2001 stimmte der damalige rot-grüne Übergangssenat der Initiative Peter Strieders zu, das Tempodrom mit 12,8 Millionen Mark vor dem Schicksal zu retten, als Investitionsruine zu enden.

„Wir waren damals alle skeptisch“, erinnert sich die Exkultursenatorin Adrienne Goehler (parteilos für die Grünen). Damals, das waren die Wochen vor der Neuwahl des Berliner Senats. Und Bausenator Strieder drohte in seinem eigenen Wahlkreis das ehrgeizigste Projekt links-alternativer Berliner Kultur – das Tempodrom – im märkischen Sand zu zerrinnen.

Trotz großer Zweifel beschlossen an jenem 9. Oktober alle SenatorInnen zähneknirschend den Zuschuss – und bereiteten damit den Weg einer strukturellen Abhängigkeit des Tempodroms vom öffentlichen Tropf. Warum?

„Es schien ja nicht gerade prickelnd, eine Bauruine mit in die neue Legislatur zu schleppen“, fasst Goehler die damalige Befindlichkeit insbesondere der Grünen-SenatorInnen zusammen. Offensichtlich wusste Strieder, der, so berichten es Beteiligte, damals mit großer Vehemenz für die Sache kämpfte, Wowereit hinter sich und der Angelegenheit. Das Duo Wowereit/Strieder, Strippenzieher des nur wenige Monate zuvor erfolgten Bruchs der großen Koalition, war angetreten, in Berlin „den Mentalitätswechsel zu vollziehen“: Schluss mit dem Filz. Heute stellt sich die Frage, ob nicht just das Tempodrom zum Sündenfall der neuen Landesregierung wurde.

„Ich fragte mich, ob das Prinzip Bankenskandal der allgemeine Berlin-Stil ist: Mit weniger Geld verhindern, dass mehr Geld verplempert wird“, erinnert sich Goehler. Strieder sei damals der allgemeinen Skepsis der SenatorInnen entgegengekommen, indem er zusammen mit Goehler alle Beteiligten zu einem Round-Table einlud. „Alle ließen damals erkennen, dass zwar noch Hoffnung drin ist, aber man entschlossen war, mit Klugheit zu handeln.“

Neu an den Veröffentlichungen der letzten Tage zum Thema Tempodrom-Finanzierung, waren sowohl für Goehler als auch für ihre ihre damalige Staatssekretärin Alice Ströver (Grüne) nur die Privatbürgschaften von Tempodrom-Gründerin Irene Mössinger und Kompagnon Norbert Waehl. Ströver erinnert sich, dass sie Strieders Vorgehensweise „seltsam“ fand. Denn am 5. Oktober, dem Freitag vor der besagten Abstimmung, kam aus der Bauverwaltung die Tagesordnungsliste für die kommende Staatssekretärskonferenz mit dem Vermerk, dass eine Mitzeichnung nicht erforderlich sei. „Am Dienstag dann kam eine neue, ziemlich lange Liste mit all den Unterpunkten, die von den SenatorInnen verlangt worden waren: Neuverhandlung der Tempodromverträge, Frage der Höhe der Pacht, Herausnahme der Personen Mössinger und Waehl aus dem Stiftungsrat und so weiter.“ Einig sei man sich gewesen, dass eine unabhängige Prüfinstanz eingeschaltet werden müsse. „Denn keiner wollte öffentliches Geld für den Betrieb des Tempodroms ausgeben!“

Auch Exjustizsenator Wolfgang Wieland (Grüne), der das Bauprojekt von Anfang an als „einen Fehler“ bezeichnet hatte, war damals nicht gewillt, das „Café Größenwahn“ als Bauruine aufzugeben. Alle damals an der Entscheidung Beteiligten weisen darauf hin, dass ein großer Zeitdruck verspürt wurde: Das Tempodrom sollte mit der Verleihung des Europäischen Filmpreises im Dezember 2001 eröffnet werden. Die kurz zuvor erfolgten Terroranschläge des 11. September ließen eine Kulturflaute befürchten. Schon getätigte Buchungen, warnte Tempodrom-Kreateurin Irene Mössinger lautstark, würden bei längerem Zögern des Senats rückgängig gemacht. Die Neuwahlen am 21. Oktober. Kurz: „Es musste damals alles sehr schnell gehen.“

Selbst in der Strieder-Verwaltung soll das Tempodrom kein Herzensprojekt gewesen sein. Alice Ströver erinnert sich, dass sowohl Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD) als auch Staatssekretärin Maria Krautzberger (SPD) „uns das Ding mit spitzen Fingern zur Unterzeichnung hinlegten“. Wolfgang Wieland jedenfalls begrüßte gestern auf Nachfrage den angekündigten Tempodrom-Untersuchungsausschuss: „Das wirkt der Legendenbildung hinsichtlich einer Grünen-Verwicklung entgegen.“