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Archiv-Artikel

Schöner beten

Eine dezent auffällige Heimstatt in der Diaspora: Das katholische Birgitten-Stift im Schnoor ist Bremens erster Klosterneubau seit dem Mittelalter

„Amor meus crucifixus est“: Der Wahlspruch steht schon am Eingang

Unter den Straßen und Gassen des Schnoorviertels ist die Kolpingstraße die unansehnlichste. Keine Spur von der malerischen Kleinteiligkeit, die das Quartier so attraktiv macht – auch Läden und Kneipen sind hier rar. Im Norden wird der Straßenlauf von der mächtigen Rückseite der Hochschule für Künste gefasst, die Grundstücke im Süden gehören meist der katholischen Kirche, die Bebauung ist gestalterisch unauffällig.

Seit kurzem muss der Blick jedoch nicht mehr vergebens im eintönigen Straßenraum nach einem optischen Anhaltspunkt suchen. Ein markanter terrakotta-roter Neubau präsentiert sich den von der Domsheide kommenden Schnoorbesuchern.

Nicht nur sein Farbton sticht ins Auge – auch sonst tanzt das Bauwerk aus der Reihe. Es verstößt auch in zwei Punkten gegen das „Schnoorstatut“, welches die gestalterische Einheitlichkeit dieses Altstadtensembles gewährleisten soll.

Zum einen schließt es nicht lückenlos an das westliche Nachbarhaus an. Dadurch entsteht ein kleiner Vorplatz. Zum anderen nimmt es auch nicht die Traufhöhe des Nachbarn auf, sondern reckt sich um zwei Vollgeschosse höher in den Himmel. Dadurch weckt der Bau Anklänge an einen Turm. Ein umlaufender Fensterkranz im obersten Stock unterstreicht den Eindruck.

Diese Hervorhebung ist vom Architekten Ulrich Tilgner durchaus kalkuliert, denn sie verweist auf die besondere Funktion des Bauwerks: Es ist Bremens erster Klosterneubau seit dem Mittelalter. Hausherrinnen sind die Birgitten, ein Orden, der im 14. Jahrhundert gegründet und – nach zwischenzeitlichem Aus – im frühen 20. Jahrhundert neu gegründet wurde. Internationalität und die Idee der Ökumene stehen für das Profil der Gemeinschaft. Mit Bremen wurde für die erste Filiale in Deutschland ganz bewusst ein Standort in der Diaspora gewählt.

Acht Nonnen aus sieben Nationen leben hier – aber nicht im Turm, sondern in einem separaten zweigeschossigen Flügel, der hofseitig ans Nachbargebäude anschließt. Der Turm dient als Gästehaus. Mit 15 Plätzen – Übernachtung ab 40 Euro – ist es die ökonomische Basis des Klosters: ora et labora!

Nur sein erstes Obergeschoss gehört noch zum Klausurbereich. Dort liegen Küche, Speiseraum und Bibliothek. Ein brückenartiger Übergang stellt die direkte Verbindung zwischen beiden Gebäuden her. Von unten wirkt er wie ein Tor, das die Schwelle zwischen gepflastertem Vorplatz und kleinem Klostergarten markiert.

Im Garten ist die Gestaltung noch nicht abgeschlossen. Noch fällt der Blick vor allem auf Mülltonnen, die davon ablenken, dass der geschwungene Weg ein anderes Ziel ansteuert. Folgt man der Biegung des Weges, steht man im hintersten Winkel des Gartenhofes vor der Kapelle, dem dritten Bauteil der Anlage.

Sie ist direkt mit dem Klausurbereich, dem „inneren Konvent“, verbunden, hat aber auch einen Zugang von außen: Gäste sind immer willkommen. Ein Angebot, das die BremerInnen schon des schönen Innenraums wegen annehmen sollten. Er ist, im Kontrast zu der kräftigen Farbe außen, in Weiß und hellem Material gehalten. In seiner klaren Schlichtheit besitzt er ein skandinavisches Flair. Die gläserne Rückwand im Osten ist kreuzförmig unterteilt.

„Amor meus crucifixus est“ (Meine Liebe ist das Kreuz): Der Wahlspruch steht schon an der Eingangsfront. Und so taucht das Kreuz mit den fünf Wundmalen Jesu, das Zeichen des Ordens, noch an anderen Stellen als Fenstergliederung wieder auf, etwa in dem Rundfenster der Brücke oder in der großen opaken Glaswand des Treppenhauses, die das Gästehaus von seinem östlichen Nachbarn, dem St. Johann-Pfarrheim, absetzt.

Das Pfarrheim aus den frühen 70er Jahren wurde ebenfalls von Tilgner renoviert und, damit es sich neben dem Rot des Neubaus behaupten kann, in einem kräftigen Grün gestrichen. Die zwölf Gästezimmer sind einfach und geschmackvoll eingerichtet.

An der Innengestaltung und dem Farbkonzept hatte Conny Tilgner, Designerin und Ehefrau des Architekten, entscheidenden Anteil. Schönster Bereich des Hauses ist des Speise- und Aufenthaltsraum der Gäste mit vorgelagerter Terrasse ganz oben. Hier hat man einen fantastischen Ausblick auf Bremens Kirchtürme und über die Dächer des Schnoorviertels. Sogar ein Stück Weser ist zu erkennen.

Ulrich Tilgner wollte für Schwestern und Gäste ein „schönes Zuhause“ schaffen, das sich nach außen „als starkes Kloster“ darstellt. In der historischen Umgebung verzichtete er bewusst auf historistische Reminiszenzen. Seine, wie er es nennt, „verträgliche Moderne“ überzeugt durch ihre menschliche Maßstäblichkeit. Eberhard Syring