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Archiv-Artikel

Das Feindbild

Trifft sie das nicht, diese Wut in allen Lagern? „Es trifft nur eine Projektionsfläche“, sagt Ursula Engelen-KeferDas Spitzenamt habe sie nie gewollt. Sie sei nur die Fachpolitikerin für Soziales. Das sei der Job des Vize

VON ULRIKE HERRMANN

Sie kann unerbittlich sein. Überall tut sie kund, dass sie sich „inhaltliche Korrekturen“ wünscht vom neuen SPD-Parteichef Müntefering. Man kann das durchaus als Drohung verstehen – schließlich hat der Kanzler sein Parteiamt auch aufgegeben, wie er sogar öffentlich eingestand, weil das Verhältnis zu den Gewerkschaften zerrüttet ist. Diese gegenseitige Abneigung scheint eine Frau perfekt zu symbolisieren: DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer.

Das ist schon ironisch: Kurz vor seinem eigenen Rücktritt soll Schröder ihren Rücktritt betrieben haben – in der Bundesagentur für Arbeit. Um die missliebige Engelen-Kefer loszuwerden, so das Gerücht, habe der Kanzler in Nürnberg gleich das gesamte Präsidium austauschen wollen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und DGB-Chef Michael Sommer sollen seine Wunschkandidaten gewesen sein – aber beide hätten abgesagt.

So weit die Kolportage, es bleibt die Realität: Engelen-Kefer führt unverändert die Aufsicht über die Arbeitsämter.

So war es bisher immer. Erst gab es Gerüchte, dass Engelen-Kefer bald ihre Posten verlieren würde – und dann blieb sie einfach weiter im Amt. Stattdessen gingen andere. Vor zwei Jahren etwa raunte es in Berlin, sie würde als DGB-Vizechefin abgelöst. Der damalige Gewerkschaftsvorsitzende, Dieter Schulte, wolle ihre erneute Kandidatur hintertreiben.

Engelen-Kefer sagt dazu nur, dass sie „dazu nichts“ sagt. Und lächelt fein. Dann aber sagt sie doch etwas, was nicht Nichts ist: „Ich wurde mit 85 Prozent wiedergewählt.“

Die etwa 7,4 Millionen Gewerkschaftsmitglieder mögen ihre Frontfrau offensichtlich, was sich von großen Teilen der Restgesellschaft nicht sagen lässt. Da ist Engelen-Kefer immer willkommen als Feindbild, was die Entmachtungsgerüchte und -gelüste ja so plausibel macht. Die Arbeitgeber tauften sie „Mrs Njet“; die rot-grüne Koalition erfand das viel zitierte „Quengelen-Kefer“. Und wenn Guido Westerwelle seine schwächelnden Liberalen in die Schlagzeilen bringen will, dann bellt er: „Diese Frau ist die Inkarnation des Klassenkampfes des 19. Jahrhunderts und solche Leute gehören entmachtet.“

Trifft sie das nicht, diese Wut in allen Lagern? „Es trifft eine Projektionsfläche“, sagt sie. Also nicht sie. Und überhaupt sei sie „kein gefühlsbetonter Mensch“, das sagt sie mehrmals, als müsste sie sich und andere davon überzeugen. Sie sei „sachorientiert“, auch das sagt sie häufiger. Deswegen sei ihr auch nie in den Sinn gekommen, Pianistin zu werden – obwohl sie sechs Jahre lang das Konservatorium in Düsseldorf besucht hat und mütterlicherseits aus einer Musikerfamilie stammt. „Ich hätte keine Karriere gemacht“, da ist sie sich sicher, mit so wenig Gefühl.

Sie hat ganz auf ihren Verstand gesetzt, auf das pure Argument. Wahrscheinlich nervt ihre Gegner genau dies: dass sie alles besser weiß. Sie hat stets noch eine Zahl parat, wenn es darauf ankommt, Freunde zu überzeugen und Feinde zu überwältigen. „Ich habe mich immer bis ins letzte Detail mit einer Sache beschäftigt“, sagt sie.

Schon als Schülerin hat sie gern Referate gehalten – und diesen wissenschaftlichen Bienenfleiß zum Karriereprinzip erhoben. Seilschaften hatte sie nie im DGB, die hatte sie auch gar nicht nötig, sie hat sich mit ihrer Fachkenntnis unentbehrlich gemacht. Niemand sonst könnte mit Journalisten erst die letzten Feinheiten von Hartz IV debattieren, um dann genauso mühelos zu sehr fieseligen Absonderlichkeiten der Riester-Rente zu schwenken. Wer mit Engelen-Kefer zu tun hat, hechelt schnell hinterher.

Instinktiv hat sie das schon als Kind gewusst, als sie beschloss, dass sie nicht Hausfrau wie ihre Mutter würde. Die Mitschülerinnen, alle gut bürgerlich für die Ehe erzogen, haben sie nicht verstanden. „In meiner Jugend war ich wirklich einsam.“

Eigentlich gab es damals nur einen echten Gesprächspartner: den Vater, ein Wirtschaftsprüfer, „unheimlich intellektuell“ und „ein scharfer Denker“. Er war der „erste starke Mann in meinem Leben“.

Es sieht daher nicht wie ein Zufall aus, dass auch der erste Freund ein Bankkaufmann und Betriebswirt war. Aber das ist die nüchterne Außensicht, für Ursula Kefer war es romantischer: Sie war 17, hatte Stunden um Stunden Nachhilfe gegeben und nun endlich das Geld beisammen, um sich den ersehnten VW-Käfer anzuschaffen. Leider war sie nicht volljährig und die Eltern lehnten es strikt ab, dass sich ihre älteste Tochter plötzlich ein Auto zulegen wollte. Also suchte sie sich einen Mann, der schon „geschäftsfähig“ war und den Käfer kaufte. Mit diesem Klaus Engelen, später langjähriger Handelsblatt-Redakteur, ist sie bis heute verheiratet. Er sei ihr „bester Freund“.

Freund und Vater scheinen sich sofort verstanden zu haben. „Die haben sich immerzu über Wirtschaft unterhalten“, erinnert sie sich an das Duo, aus dem sie möglichst schnell ein Trio machte: „Da wollte ich mitreden.“ Sie gab den Plan auf, Tiermedizin zu studieren, und wechselte zur Volkswirtschaft.

Hört man Engelen-Kefer zu, dann war eigentlich alles in ihrem Leben ein großer Zufall. Der Freund, die Volkswirtschaft, die weitere Karriere. „Ich hatte unheimliches Glück“, sagt sie, wenn sie etwa beschreibt, wie sie 1974 zum DGB geriet. Der stellvertretende Vorsitzende Gert Muhr habe damals beschlossen: „Die kann was, der wollen wir eine Chance geben.“ Also wieder ein starker Mann für eine noch schwache Frau: „Ich war damals mit sehr wenig Selbstbewusstsein ausgestattet.“

Damit passt Engelen-Kefer bestens ins Muster der erfolgreichen Frau um die 60. Längst ist erforscht, dass fast alle diese Karrierefrauen dazu neigen, ihr Leben als eine Kette erstaunlicher Zufälle darzustellen. Gezielt streben, das dürfen nur Männer in dieser Generation. Frauen haben nichts zu wollen – und so wollte Engelen-Kefer auch nie etwas, jedenfalls nicht öffentlich.

Sie, die ewige Stellvertreterin, wäre sie nicht gern Gewerkschaftsvorsitzende geworden? 1994 wurde sie von den IG Medien vorgeschlagen, aber schon im DGB-Vorstand abgeblockt. Und so kandidierte sie erst gar nicht auf dem Gewerkschaftstag. Sie habe das Spitzenamt auch nie gewollt, versichert Engelen-Kefer. Eigentlich sei sie doch gar nicht aus den Gewerkschaften, sondern „von draußen reingekommen“. Sie sei kein Michael Sommer, der ganz unten als Postgewerkschaftssekretär anfing. Sei eben nur „Fachpolitikerin“ für Soziales, und das sei der Job für den Vize.

Zur weiblichen Tugend der Bescheidenheit gehört auch, das Wort „Macht“ zu meiden. Immer. Absolut. „Da wird der Chauvinismus der Männer wachgerüttelt“, hat Engelen-Kefer festgestellt und sagt daher lieber: „Ich wäre froh, wenn ich Einfluss hätte.“ Erlaubte Synonyme sind auch „Gestaltungsfähigkeit“ oder „Einflussmöglichkeit“.

Bloß keine Angriffsflächen bieten. Das mag erstaunen bei einer Frau, die wie keine andere Angriffsfläche ist. Aber wenn sich die Medien darauf kaprizieren, dass ihre Röcke zu kurz seien, dann gibt sie nach, verkämpft sich nicht, und zieht Hosen an. Sturheit „wäre doch blöd, warum soll ich mir damit Schwierigkeiten machen“. Das war vor etwa zehn Jahren, inzwischen hat sich die Aufregung um das Outfit längst gelegt, und manchmal sieht man Engelen-Kefer wieder in gediegenen Kostümen.

Sie ist eine Frau, die sich neutralisiert. Es wird gar nicht mehr wahrgenommen, wie hübsch sie eigentlich ist. Sie ist nur Rolle, sie ist Mrs Gewerkschaft. Das hat sie selbst so gewollt. Sie weiß, was sie ist als DGB-Vize: „Klar sind wir Interessensvertretung.“ Schließlich sind die Arbeitgeberverbände auch nichts anderes. Absolute Wahrheiten gibt es nicht, sondern nur Perspektiven. Und für die Facharbeiter und die untere Mittelschicht, die die Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder stellen, sieht die neue Welt der Agenda 2010 eben nicht besonders freundlich aus.

Also stört Engelen-Kefer beharrlich jene „interessierten Kreise“, die finden, dass der „Sozialstaat zu teuer ist, Arbeitsplätze kostet und abgerissen werden muss“. Und dabei stört es sie überhaupt nicht, dass diese „Kreise“ längst der Mainstream sind. Davon lässt sich zwar der Kanzler beeindrucken, sie nicht. Sie vertraut unverdrossen auf ihre Argumente. Und vielleicht hört Franz Müntefering besser zu.

Diese Unempfindlichkeit irritiert ihre Gegner. Wieso nimmt diese Frau es einfach hin, dass die Mehrheit der Deutschen inzwischen denkt, sie sei verbohrt und bekloppt? Wo bleibt ihr Stolz, wo ihr Sinn für Ehre? Aber das sind männliche Fragen. Es trainiert, eine Frau zu sein, eine ambitionierte zumal. Da lernt sich früh, was es heißt, Außenseiterin zu sein.

Engelen-Kefer ist öffentlich so sehr ihre Rolle, dass nur noch ihre Stimme wahrgenommen wird. Die ist so hoch wie bei vielen Frauen und überschlägt sich oft, wenn sie im Stakkato Argumente abfeuert. Es ist vor allem diese sägende Stimme, die es so einfach macht, sie zur „ewigen Nervensäge der Nation“ zu ernennen. „Natürlich ist mir das nicht egal“, sagt sie, aber wie immer, wenn es öffentlich wird, will sie das nicht als Person Engelen-Kefer meinen, sondern als Projektionsfläche gleichen Namens. „Es ist Teil meines Jobs, wie man seine Botschaften präsentiert.“

Also findet sie, dass sie „an sich arbeiten muss“. Seit einiger Zeit besucht sie ein Sprachtraining. „Hat es was genutzt?“, fragt sie ihre Mitarbeiter und will es wirklich wissen. Höflichkeit ist nicht erwünscht. Die Runde schweigt, was soll man sagen, leider ist die Stimme immer noch recht hoch. Irgendwann haucht ihre Sprecherin: „Wir machen ja noch weiter.“ Hoffentlich, das denken alle in der Runde sichtbar, ist sie jetzt nicht enttäuscht. Da lächelt sie. Ein bisschen ist sie wohl immer die Schülerin von damals geblieben. Sie lernt eben wirklich gern. Fast strahlend wiederholt sie: „Ja, wir machen weiter.“