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Archiv-Artikel

Bloß nicht ins bitterkalte Wasser fallen

Deutschland trainiert für Olympia (Teil 4): Hamburg möchte den Entscheidungsträgern bei der Auswahl des Olympiakandidaten 2012 ein „schlechtes Gewissen“ bereiten, wenn sie nicht für den Evaluationsgewinner votieren

HAMBURG taz ■ Es ist wieder kühl geworden in Hamburg. Ein gutes Klima, um im offenen Entscheidungsverfahren um den deutschen Bewerber für die Olympischen Spiele 2012 Coolness zu beweisen. Der ehemalige Hockeystar Büddi Blunck nutzte die Gelegenheit, Hamburgs Olympiabewerbung noch mal Nachdruck zu verleihen, indem er sich in der acht Grad kalten Alster schockgefrieren ließ. „Eine Schwimmstrecke mitten in der Stadt. Das gibt es sonst nirgends“, bibberte Blunck nach einigen Schwimmzügen cool.

Zeitnah zu der am kommenden Samstag in München fallenden Entscheidung der Mitglieder des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) und der Sportfachverbände musste selbstverständlich noch der Grundstein für die neue Leichtathletikhalle gelegt werden. Die vom Hamburger Senat eingeführte dritte Sportstunde lässt sich zwar schwerer vermarkten, zeigt aber abrundend den Willen der Hamburger, den Ruf als Sport-Diaspora auch mit einer „neuen Sportveranstaltungskultur“ und Events wie den Cyclassics, dem Marathon und dem neu etablierten Triathlon ablegen zu wollen.

Zwar zeigte sich in dem vor vier Wochen präsentierten Evaluierungsbericht des NOK die erwartete Kritik in den Bewertungspunkten „Sportliche Großereignisse“, „Sportinfrastruktur“ und „Regionaler Sport“. Gefreut haben sich die Hamburger trotzdem über ihren Vorsprung, den sie vom NOK gesamtheitlich bescheinigt bekamen. Selbst wenn Kritiker die Freude aus Hamburg ein wenig zu früh vernommen haben wollen, mussten viele doch mit dem Urteil aufräumen, dass die faktische Selbstsicherheit der Bewerber in Übermut mündete. Durch den „städtebaulichen Glücksfall“, der die city- wie wassernahe Hafencity einem Masterplan zufolge bis 2025 erschließen soll, „passen die zeitlichen wie geografischen Dimensionen mit Olympia perfekt zusammen“, glaubt der Kommunikationsleiter der „Hamburg für Spiele 2012 GmbH“, Karl-Heinz Blumenberg, selbst im Falle einer nötigen Bewerbung für die Jahre 2016 oder gar 2020.

Dennoch wird sich neuerdings um leisere Töne bemüht. Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) spricht im Vorfeld der Entscheidung in München davon, dass es „keine sichere Nummer“ werde, und auch Bewerbungschef Horst Meyer will zu neusten Gerüchten „gar nichts mehr sagen“. Lieber spricht er von der Unvergleichbarkeit zwischen Stadtstaaten wie Hamburg und Flächenstaaten. „Es muss doch klar sein, dass eine Stadt auf gar keinen Fall ähnlich viele Welt- und Europameisterschaften durchführen kann wie ein Flächenstaat.“ Rückendeckung bekommt er vom Schweizer IOC-Exekutivmitglied Denis Oswald, der im Spiegel sagte: „Wenn sich eine ganze Region bewirbt, muss man womöglich skeptisch sein.“ Oswald führte weiter aus, dass Städte mit weniger als einer Million Einwohner kaum eine Chance hätten. Somit käme Hamburg als einzige Stadt infrage. Ginge es in München also tatsächlich um den Bewerber mit der bestmöglichen internationalen Durchsetzbarkeit, wie leitende Funktionäre des NOK gerne betonen, stünden nicht viele Argumente gegen Hamburg.

Doch der Nervenkitzel bei Abstimmungen von Sportverantwortlichen liegt jenseits des Erklärbaren. Das Buhlen um die Stimme jedes einzelnen NOK-Mitglieds und jedes Sportverbandes hat spätestens mit der Präsentation des Evaluierungsberichtes neue Blüten getrieben. Eine Disziplin, bei der sich Hamburg schwer tut. Zwar sitzt mit Hans Hansen der Ehrenpräsident des Deutschen Sportbundes (DSB) im Aufsichtsrat der Bewerbergesellschaft und auch Triathlon-, Hockey- sowie Tennisverband scheinen Hamburg zu favorisieren. In Stuttgart sitzen hingegen sechs Sportfunktionäre im Beirat und in Düsseldorf wirbt der amtierende Vizepräsident des DSB, Ulrich Feldhoff, um die Stimmen.

„Wir haben in den vergangenen Wochen die Verbände auf die im Evaluierungsbericht fehlende zweite Bahnstation am Olympiagelände aufmerksam gemacht. Auch unsere Sportveranstaltungskultur mit 1,5 Millionen verkauften Tickets – was der Spitzenwert ist – wurde dargestellt“, erläutert Meyer die eigene Arbeitsweise. „Viele Funktionäre wurden dermaßen von allen Seiten mit Informationen zugeschüttet, dass sie verständlicherweise abgeschaltet haben.“

Um dies bei der Präsentation in München zu verhindern, hat die Bewerbergesellschaft den Regisseur Dieter Wedel mit dem Drehen eines Olympiafilms für Hamburg beauftragt. Damit soll den Stimmberechtigten – getreu des Olympiamottos – noch mal „Feuer und Flamme“ unterm Hintern gemacht werden. „Die Entscheider sollen wenigstens ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie auf den Knopf drücken und sich für eine andere Stadt entscheiden“, hofft Meyer.

OKE GÖTTLICH