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Archiv-Artikel

„Ich werde weiterlächeln“

„Ich tue das mir Mögliche, damit die Beitragssätze nicht steigen“

Interview ULRIKE WINKELMANN

taz: Frau Schmidt, was ist das größte Problem auf dem Weg zu einer Gesundheitsreform – außer Geld?

Ulla Schmidt: Das Verhalten vieler Männer ist ein Riesenproblem, insbesondere der Ärztefunktionäre. Sie sind ja alle sehr höflich und galant, wenn wir hier beisammensitzen, denn es sind ja Herren. Sobald sie sich aber öffentlich äußern, haben einige ihre Erziehung vergessen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Wir wollen für junge Ärzte und solche, die sich nicht für eine teure Facharztpraxis verschulden wollen, Gesundheitszentren einrichten. Im Osten gibt es das schon längst. Gegen solche Pläne wird auf Ärzteversammlungen in einer Weise polemisiert, als wollten wir Erich Honecker wieder auferstehen lassen. Was Blödsinn ist. Auch Medienleute arbeiten mit Unterstellungen: Manche meinen, eine Frau kann das nicht. Das höre ich aus deren Fragen heraus: „Eine Frau kann nicht mit Lobbygruppen umgehen.“

Aber wieso soll das Männer-Frauen-Problem ausgerechnet in der Gesundheitspolitik besonders groß sein?

Ich kenne keinen politischen Bereich, in dem alle wichtigen Posten so durchgängig mit Männern besetzt sind. Deshalb ist es auch so schwierig, Kompromisse zu finden. Die Mitglieder des männlichen Establishments sitzen seit zwanzig Jahren auf ihren Posten und sagen immer das Gleiche: Wir wollen das nicht – egal was kommt. Das wäre mit Frauen anders.

Soll das damit zu tun haben, dass Sie eine Frau sind?

Nein, auch Horst Seehofer [CSU-Gesundheitsminister, 1992 bis 1998; d. Red.] hat große Schwierigkeiten gehabt. Bei allen Reformversuchen seit den 80er-Jahren riefen die Lobbyisten: Das Gesundheitswesen geht unter, die Humanität ist verletzt, die Apotheken müssen sterben, die Pharmaindustrie steht am Abgrund. Das ist männertypisch: diese Rituale und Gockelkämpfe wieder und wieder durchzuspielen, statt einmal einzusehen und zu sagen: Leute, die Situation ist ernst. Die Bedingungen werden nicht besser, wenn wir keine Gesundheitsreform machen.

Allerdings haben Sie nicht nur bei Ärzten, Apothekern und der Pharmaindustrie ein Imageproblem, sondern auch bei der Bevölkerung.

Mein Image ist das Image einer Politikerin, die mit beiden Füßen auf dem Boden steht. Aber Gesundheitspolitik als solche ist für viele schwer nachzuvollziehen. Es ist eben extrem kompliziert. Die Menschen haben das Gefühl, dass sie beim Arzt immer schlechter behandelt werden, während gleichzeitig die Kassenbeiträge steigen. Das wird automatisch dem Gesundheitsminister zugeschrieben, auch wenn ich darauf keinen Einfluss habe.

Gesundheitsministerinnen und -minister sind unbeliebt, weil keiner versteht, wie Gesundheitspolitik funktioniert?

Ich bin nicht unbeliebt. Wenn ich mich mit Menschen treffe, begegne ich Sympathie und Verständnis. Aber es wäre für mich sehr schwierig, auf die obersten Plätze der Minister-Top-Ten zu kommen. Dafür sind die Menschen zu sehr davon betroffen, was im Gesundheitsbereich geschieht.

Rührt Ihre Unbeliebtheit vielleicht auch daher, dass Sie den Imagewechsel von der Nurlächlerin zur Macherin nicht hinbekommen haben?

Ich sehe keinen Imagewechsel. Ich werde weiterlächeln. Ich finde nicht, dass man griesgrämig aussehen muss, um etwas durchzusetzen.

SPD-Fraktionschef Franz Müntefering und Kanzler Gerhard Schröder tun aber gerne so, als müssten sie als Macher die zauderliche Ministerin auf Linie bringen.

Ich wüsste nicht, wobei.

Was ist mit der gängigen Medienthese „Der Kanzler treibt die Ministerin an“?

Schwachsinn, purer Schwachsinn. Das sind die üblichen Blüten im Konkurrenzkampf Ihres Gewerbes, also vergessen Sie’s. Als wenn mir das Kanzleramt jeden Morgen Anweisungen reinschicken würde. So etwas kommt wohl auch zustande, weil es das Schönste im Medienbetrieb ist, von irgendeinem Krach zu berichten – ob es den gibt oder nicht.

Es gibt jemanden, der sowohl Sie als auch das Kanzleramt berät: den Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach. Ist er der eigentliche Macher?

Herr Lauterbach ist ein hochintelligenter Mann, der vieles angestoßen hat. Deshalb ist er auch der meistgehasste Mensch im Gesundheitswesen. Mit mir und der SPD hat er immer schon eng zusammengearbeitet. Aber ich muss und kann auch nicht alles umsetzen, was Professor Lauterbach verlangt. Es gibt eben einen Unterschied zwischen reiner Lehre und Politik.

Herr Lauterbach ist in der Rürup-Kommission zur Sanierung der Sozialsysteme der Gegenspieler von Kommissionschef Bert Rürup. Ist es Ihnen vielleicht ganz recht, dass die beiden sich kaum einigen werden – damit Sie die Ergebnisse der Kommission gar nicht mehr beachten müssen?

Diesen Hintergedanken habe ich nicht. Ich hoffe sehr, dass die beiden zu einem gemeinsamen Ergebnis kommen. Dann wird es bei der Gesundheitsreform auch eine Rolle spielen. Bislang gibt es für das Rürup-Modell so wenig eine gesellschaftliche Mehrheit wie für das Lauterbach-Modell. Rürups Vorschlag mit den Kopfpauschalen hat den Vorteil, dass dadurch der Faktor Arbeit sofort entlastet würde, denn die Krankenversicherung wäre nicht mehr Teil der Lohnnebenkosten. Aber das für den sozialen Ausgleich notwendige Steuergeld wäre wiederum konjunkturabhängig. Das heißt, dass gerade dann, wenn Geld für die Umverteilung nötig wäre, vermutlich keines da wäre.

„Ich finde nicht, dass man griesgrämig aussehen muss, um etwas zu erreichen“

Das Lauterbach-Modell hat das Problem, dass man die Privatversicherungen nicht einfach abschaffen kann. Und wer die Miet- und Zinseinkünfte mit zur Berechnung von Kassenbeiträgen heranziehen will, bekommt das Problem, dass er die Krankenkassen zu Steuerbehörden macht – denn die müssten das ja überwachen. Wenn da aus der Kommission ein kreativer und politisch-rechtlich gangbarer Kompromiss käme, ein gangbarer Weg zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung, wäre ich dankbar.

Es glaubt aber niemand, dass die Rürup-Ergebnisse dieses Jahr noch beachtet werden – schließlich hat die SPD schon unter sich klar gemacht, dass die Lohnnebenkosten vor allem dadurch entlastet werden sollen, dass das Krankengeld künftig allein von den Arbeitnehmern abgesichert wird.

Gesundheitsreform ist ein ständiger Prozess. Es ist eine Illusion, zu glauben, man könne in diesem Jahr ein für alle Mal etwas reformieren. Die Politik wird immer nachjustieren müssen, weil der medizinische Fortschritt ständig neue Anforderungen stellt. Die Rürup-Kommission kann nur die Grundlagen schaffen, wie die Finanzierung langfristig verändert werden könnte.

Die Zielvorgabe des Kanzlers lautet: Kassenbeiträge unter 13 Prozent. Fleißige Rechner haben schon ermittelt, dass das allein durch die Auslagerung des Krankengeldes und sämtliche geplanten Effizienzmaßnahmen auf keinen Fall zu schaffen ist – zumal nicht, wenn die Beiträge bis zum Jahresende auf 14,8 Prozent gestiegen sein werden.

Keiner kann heute sagen, wie die Entwicklung der Beiträge in diesem Jahr sein wird. Ich tue das mir Mögliche, damit die Beitragssätze nicht steigen. Es macht jedenfalls wenig Sinn, sie dieses Jahr anzuheben, um sie nächstes Jahr wieder zu senken. Deshalb hoffe ich, dass die Union diese Woche im Vermittlungsausschuss nicht auf ihren Forderungen beharrt, die die Kosten in diesem Jahr wieder in die Höhe treiben werden: Keine Deckelung der Verwaltungskosten bei Krankenkassen, keine Festbeträge für Medikamente, praktisch überhaupt keine Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen.

Wenn die Kassenbeiträge steigen, werden Sie das also der Union in die Schuhe schieben?

Nein, ich werde alles daransetzen, dass die Beiträge nicht steigen, aber die Union trägt jetzt Verantwortung mit, ob sie will oder nicht.

Aber an unter 13 Prozent im kommenden Jahr glauben Sie?

Es wird ein Prozess sein. Ein Teil der Maßnahmen wird erst im Laufe der Zeit wirken.