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Archiv-Artikel

Wie schon in Palästina

In der arbischen Welt wird die Taktik der US-Militärs in Bagdad mit dem Vorgehen der israelischen Armee im Gaza-Streifen verglichen

KAIRO taz ■ „Incursions“ heißt das neue Zauberwort der US-Armee im Umgang mit Bagdad. Übersetzt heißt das so viel wie „Vorstöße, Überfälle oder Razzien“. Damit, so wird behauptet, wollten die US-Truppen nicht dauerhaft städtisches Gebiet besetzen sondern beweisen: „Wir können zu jeder Zeit an jedem Ort in der Stadt auftauchen.“

Es ist eine Taktik, deren sich die US-Armee bedienen muss, da sie im Moment nicht genug Truppen hat, um die Stadt dauerhaft zu besetzen. Die 5-Millionen-Stadt erstreckt sich immerhin über 15 Quadratkilometer. Für die amerikanischen gepanzerten Einheiten mag es einfach sein, die ein oder andere Hauptstraße herunterzurollen, auch die sechsspurige Stadtautobahn ist ideal für ihre Panzer. In den teils verwinkelten Seitenstraßen, vor allem im Norden der Stadt, dürfte es aber schwieriger werden, selbst wenn nur ein Teil der dort verschanzten Republikanischen Garden und Parteimilizen ernsthaft Widerstand leistet. Die US-Regierung hofft, so die Autorität des irakischen Regimes untergraben zu können. Ziel ist es, dass sich die Bagdader selbst gegen Saddam Hussein und seine Gefolgsleute wenden, wenn sie erst einmal der US-Präsenz in der Stadt sicher sind.

Militärisch mag das eine äußerst sinnvolle Taktik sein, politisch ist sie zumindest aus arabischer Sicht problematisch. Bei den meisten Arabern, die in den letzten Tage die Ereignisse in Bagdad auf ihren Bildschirmen verfolgt haben, läuft dabei ein zweiter Film im Hinterkopf ab. Auch die israelischen Truppen im Westjordanland und im Gaza-Streifen bedienen sich der Taktik der „Incursions“. Mit kurzen Vorstößen in die Palästinenserlager im Gaza-Streifen oder in die Städte des Westjordanlands versucht die israelische Armee seit Beginn der palästinensischen Intifada zu zeigen, wer wirklich Herr im Haus ist.

Der arabische Satellitenfernsehsender al-Arabia zeigt seit gestern auf einem geteilten Bildschirm Bilder aus den israelisch besetzten Gebieten und dem Irak. Da sich amerikanische und israelische Uniformen, Helme und Militärjeeps gleichen, muss man schon näher an den Bildschirm heranrücken, um festzustellen, welcher Film aus welchem Land stammt. Da stehen im Süden des Irak britische und amerikanischen Soldaten auf Dächern, ihre Waffen auf die umliegenden Straßen gerichtet, in der gleichen Art, wie israelische Soldaten die Dächer palästinensischer Häuser in Beschlag nehmen. Da sitzen irakische Kriegsgefangene am Straßenrand, ihre Arme sind mit den gleichen Plastikhandschellen zusammengebunden wie die der aufständischen Palästinenser. Und wie rund um die palästinensischen Städte von Israels Soldaten Straßensperren aufgebaut wurden, entstehen solche nun auch im Irak.

Ein taktischer Zug des irakischen Regimes war es, zu diesen Sperren Selbstmordattentäter zu schicken. Seitdem ist die ganze irakische Bevölkerung potenziell verdächtig – so wie es für den israelischen Straßenposten jeder Palästinenser ist. In der israelischen Tageszeitung Ma’ariv heißt es dazu, dass sich das von Israel erarbeitete Profil eines Selbstmordattentäters zwar nicht direkt übertragen lasse, dass die Amerikaner aber einiges darüber lernen könnten, wie sich ein Selbstmordattentäter „entlarven, übermannen und isolieren“ lasse.

Allerdings hinkt der Vergleich von israelischer und amerikanischer Taktik in einem Punkt: Zwar würde die israelische Regierung ebenso gerne Arafat loswerden wie die USA Saddam Hussein, doch ist es ausgerechnet Washington, das den israelischen Premier Ariel Scharon davon abhält, dies tatsächlich zu tun. Daher versucht man nun, die Verwaltung Arafats nominell intakt zu halten und zugleich ihre Infrastruktur zu zerstören. Die US-Truppen im Irak zielen auf das Gegenteil ab, sie wollen die Infrastruktur möglichst beibehalten, damit das als Alternative zu Saddam Hussein von ihnen installierte System später darauf zurückgreifen kann.

„Wir bewegen uns schnell zu dem Startpunkt für die Zukunft des Irak“, verkündete US-Militärsprecher General Vincents Brooks gestern im US-Hauptquartier in Katar selbstbewusst. Für die USA ist das erste Kriegsziel mit dem Sturz des Regimes erreicht. Selbst wenn viele Iraker das Ende Saddam Husseins begrüßen werden, für so manchen dürften sich die ungeliebten US-Invasoren über Nacht in Besatzer arabischen Bodens verwandeln. Damit ist für sie dann auch der Widerstand gegen diese Besatzung legitimiert. Der Krieg im Irak dürfte innerhalb der nächsten Wochen zu Ende gehen, der mesopotamische Frieden aber wird noch lange auf sich warten lassen. KARIM EL-GAWHARY