: In Frankreich wird kurzer Prozess gemacht
Eine Reform des Strafrechts soll künftig für eine schnellere und effizientere Rechtsprechung sorgen. Kritiker sehen in demneuen Gesetz einen Angriff auf die unabhängige Justiz und eine massive Einschränkung der Grundrechte. Anwälte streiken
AUS PARIS DOROTHEA HAHN
Kurze Prozesse gegen das organisierte Verbrechen. Das verspricht Frankreichs Justizminister Dominique Perben, dessen zweites großes Reformgesetz das Parlament gestern Nachmittag in letzter Lesung annahm. Laut Perben wird das Gesetz für eine effizientere und schnellere Rechtsprechung sorgen.
Die Opposition sowie die Richter und Anwälte betrachten das Perben-II-Gesetz als rechtsstaatlichen Rückschritt, als Angriff auf die unabhängige Justiz und als Beschneidung von Grundrechten. In seltener Einmütigkeit haben die Anwälte gestern landesweit gestreikt. Die Richter hatten in der vergangenen Woche demonstriert. Der Anwälteverband und die Opposition haben zudem Verfassungsklagen angekündigt.
Perben II ist Teil des Kampfes gegen die Unsicherheit, die angeblich in Frankreich grassiert und politisch das zentrale Thema der Rechten ist. Mit der „inneren Sicherheit“ hatte Jacques Chirac schon seinen Präsidentschaftswahlkampf im Frühjahr 2002 bestritten und auch dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen ein Forum geboten.
Mit demselben Thema hat Innenminister Nicolas Sarkozy Punkte gesammelt. Er hat die Polizei finanziell, rechtlich und personell gestärkt. Jetzt ist Justizminister Perben am Zuge. Bereits 2002 hatte er in einer ersten Justizreform Perben I die Institution des nicht professionellen „Proximitätsrichters“ eingeführt, der ohne Eingreifen ausgebildeter Richter über kleinere Delikte entscheiden kann. Schon damals hatten die Berufsorganisationen geklagt, die Arbeitsmöglichkeiten der Richter und damit die Unabhängigkeit der Justiz würden beschnitten. Jetzt wird diese Klage lauter. Selbst konservative Strafanwälte sprechen von „totalitären Tendenzen und einer Unterstellung der Justiz unter die Politik“.
Perben II sieht vor, dass Verhaftete, die organisierter Verbrechen beschuldigt werden, bis zu vier Tage in Polizeihaft gehalten werden können. Erst nach 48 Stunden steht ihnen das Recht auf einen Anwalt zu. Die Definition von organisiertem Verbrechen ist so vage, dass nach Einschätzung von Strafrechtsexperten darunter sowohl Mitglieder internationaler Menschenhändlerringe als auch kleinere Drogendealer fallen können.
Das Gesetz sieht höhere Strafen vor sowie den Ausbau der „Kronzeugenregelung“. Es erleichtert polizeiliche Abhörungen und Durchsuchungen von Wohnungen. Statt eines Untersuchungsrichters kann ein Staatsanwalt darüber entscheiden.
Die Befugnisse der Staatsanwaltschaft werden ausgebaut. Unter anderem sieht das Gesetz ein Verfahren vor, das aus der angelsächsischen Justiz stammt: Schuldig plädieren. Wenn ein Verhafteter sich schuldig bekennt und auf seine Tat nicht mehr als fünf Jahre Haft stehen, kann er einen kurzen Prozess bekommen. Dabei steht er allein dem Staatsanwalt gegenüber. Das Strafmaß handeln Angeklagter und Staatsanwalt aus. Der Richter interveniert nur, um seinen Stempel darunter zu setzen.
Viele Juristen befürchten, dass die Staatsanwälte als verlängerter Arm des Justizministeriums funktionieren werden. Und sie fürchten, dass es eine Justiz in zwei Geschwindigkeiten geben wird: Die Armen werden Schnellverfahren bekommen. Die Reichen und Einflussreichen werden auch künftig auf ein traditionelles Verfahren setzen.
Die regierende rechte Sammlungspartei UMP hat oft gezeigt, dass sie bereit ist, Druck auf die Justiz auszuüben. Derzeit tut sie das, um ihren Parteichef Alain Juppé zu verteidigen. Nachdem Juppé Ende Januar wegen Hinterziehung öffentlicher Gelder zu 18 Monaten auf Bewährung und zehn Jahre Unwählbarkeit verurteilt worden war, ging ein Sturm der Empörung durch die Spitze von Staat und Partei. Juppé ist in Berufung gegangen. Nach Angaben von zwei Journalisten der Zeitung Le Monde lässt Perben prüfen, ob es günstig für das Berufungsverfahren wäre, wenn Juppé das aus der Pariser Stadtkasse entzogene Geld zurückzahlte. Perben bestreitet die Aussage. Die Richtergewerkschaften fordern seinen Rücktritt.