: Die Blutspur im Kino
Ekel und schöner Schrecken: Im Arsenal wird mit etwas Splatter-Geschichte das Bildarchiv des modernen Horrorfilms gesichtet
Wohl kaum ein anderes Genre ist in der Vergangenheit einem derart großen Paradigmenwandel unterworfen gewesen wie der Horrorfilm. Das betrifft Produktion und Rezeption gleichermaßen: Klassische Gruselwerke wie „Frankenstein“ kann man heute getrost im Kinderprogramm vorführen, seit Regisseure wie George Romero, Wes Craven und Tobe Hooper den gesellschaftlichen Umbruch der späten 60er- und frühen 70er-Jahre, den Vertrauensverlust in staatliche Autoritäten und die durch den Vietnamkrieg ins Blickfeld gerückte alltägliche extreme Gewalttätigkeit in ihren Low-Budget-Produktionen drastisch ins Bild setzten.
Das Arsenal-Kino rekapituliert jetzt in einer kleinen Reihe (mit jenen Filmen, die nicht verboten sind) die „Bodies that splatter“: George Romeros pessimistischer Zombie-Klassiker „Night of the Living Dead“ und Wes Cravens Kannibalen-Schocker „The Hills Have Eyes“ (zwei Filme, die das Ausgeliefertsein „normaler“ Menschen betonen) bilden den Auftakt, dazu gibt es die Dokumentation „The American Nightmare“ von Adam Simon, in der sich die Veteranen des Splatterfilms ausführlich über ihre damaligen An- und Absichten äußern.
Ebenfalls im Programm ist mit Michael Powells „Peeping Tom“ (1960), ein vom zeitgenössischen Publikum restlos missverstandener „Vorläufer“, der die Karriere des Regisseurs und des Hauptdarstellers Karlheinz Böhm beinahe ruinierte. Die Geschichte vom Psychopathen, der die Angst seiner Opfer filmt, während er sie mit einem Stilett im Kamerastativ ermordet, erfuhr erst bei seiner Wiederaufführung Ende der Siebzigerjahre eine späte Anerkennung als intelligente Reflexion über das Kino der Angst: Wenn das Publikum in den subjektiven Einstellungen die Sicht des Mörders übernimmt und sich selbst als „Peeping Tom“ erfährt, legt der Film auch die Mechanismen seines Genres offen. LARS PENNING