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Archiv-Artikel

Großpackung Kritik

Nicht aus der Position des frustrierten Nörglers, sondern aus der Lust auf Angriff heraus: Auf „Einbildung ist auch ’ne Bildung“ attackiert Knarf Rellöm den Pop mit den Mitteln des Pop

VON RENÉ MARTENS

Ob es nun ein frisch an die Spitze gespülter Sportler oder Schriftsteller ist, ein Überlebender der New Economy oder ein Schauspieler, der gerade mal eine passable Rolle in einem halbwegs passablen TV-Movie gegeben hat: Viele von ihnen stricken mit an dem Mythos, dass, wenn man ehrlich und beharrlich ist, sich der Erfolg nahezu zwangsläufig einstellt. Dass sie, bei aller Schufterei für den Durchbruch, sich niemals haben verbiegen lassen und niemals auch nur eine Sekunde vergessen haben, wo sie herkommen, nämlich von janz weit unten. Solche Lebenslügen, die in Sätzen kulminieren wie „Du musst einfach du selbst sein“ oder „Ich werde immer der bleiben, der ich bin“, hat Knarf Rellöm in seinem Song „Change is gonna come“ verdichtet, um schließlich in einem Aufbruchsstimmung verheißenden Refrain seinen Unwillen rauszurotzen über alles, „was sich nicht verändert“. „Change is gonna come now!“, heißt es da, und dann erinnern wir uns daran, dass Knarf Rellöm das Spiel mit im Prinzip ja ernst gemeinten Parolen schon beherrschte, als er sich noch Walding nannte und Sänger der Band Huah! war. Die hatten 1992 ihr zweites Album „Scheiß Kapitalismus“ getauft.

Das Gerede von Realness und Bodenständigkeit stört Knarf Rellöm ganz besonders, wenn es von Musikern und anderen Figuren des Popbetriebs verbreitet wird, und im Wesentlichen an sie sind die stets humorigen Fundamentalpolemiken denn auch adressiert, die er auf seinem neuen Album „Einbildung ist auch ’ne Bildung“ versammelt hat. Knarf Rellöm hasst Milieus und ihre Rituale und all die anderen Symptome, die darauf schließen lassen, dass deren Bewohner dem Hirntod nahe sind. Was er etwa von einer Phrase wie „Party People In The House“ hält, merkt man anhand des militärisch-zackigen Tons, in dem diese Worte aus den Boxen kommen. Und Zeilen wie „Wir lieben unsere Firma / Sie gibt uns alle Freiheit / Unsere Firma liebt uns / Unsere Firma will Tote“ kann man – muss man aber nicht – als Anspielung auf Musiker verstehen, die die Liberalität ihrer Labels verklären, obwohl das Firmenkonglomerat, zu dem sie gehören, auch aus Unternehmen besteht, die mittelbar oder unmittelbar von den aktuellen Kriegen profitieren.

Schon auf „Fehler is King“, seinem Ende 1999 erschienenen letzten Album, watschte Knarf Rellöm in einem Stück die lieben Kollegen ab: „N.M.V.“ (Nicht mein Verein) richtete sich gegen ein gewisses Songwritergehabe und selbstmitleidige Künstler. Die Musik dazu war allerdings quälend. Auf „Einbildung ist auch ’ne Bildung“ attackiert er dagegen Pop mit den Mitteln des Pop. Die Stücke sind höchst eingängig, mal elektronisch und funky, mal mit gebrochenen Verweisen auf Punk, frühe deutsche Welle oder Achtziger-Synthiepop. Und um das Grundthema der Platte zu unterstreichen, lässt es Knarf Rellöm in seinen Texte von Referenzen an die Popgeschichte nur so wimmeln. Er zitiert T. Rex, Starship, Neil Young, Snap, Die Goldenen Zitronen. Pop über Pop? Hört sich auf den ersten Blick vielleicht muffig an, aber „Einbildung ist auch ’ne Bildung“ strahlt eine Leichtigkeit aus, die solchen Großpackungen Kritik normalerweise nicht anhaftet. Knarf Rellöm attackiert nicht aus der Position des frustrierten Nörglers, er hat tatsächlich Lust auf Angriff.

So vermittelt die Platte – auch wenn es angesichts der Texte seltsam klingen mag – eine gewisse Fröhlichkeit. Gute Laune verbreitet sogar „How I Wrote Mark E. Smith“, eine Hommage an den monolithischen Miesepeter aus Manchester, der mit seiner ständig umbesetzten Band The Fall in einem Vierteljahrhundert mehr als 30 reguläre Alben mit im besten Sinne autistischer Musik vollgemacht hat. Der Titel von Knarf Rellöms Huldigung spielt an auf den The-Fall-Klassiker „How I Wrote Elastic Man“. Gitarre und Bass klingen fallesk, aber das Erstaunlichste vollbringt hier Gastsänger Phil Hayes: Um in deutscher Sprache zumindest eine Annäherung an den bisher für unimitierbar gehaltenen Stil zu finden, in dem sich Smith durch seine Lieder nuschelt und meckert und manchmal auch im weitesten Sinne singt, hat Knarf Rellöm für Hayes einen Text gebaut, in dem bestimmte Worte oder Silben sinnfrei wiederholt werden: „Wir sind raus aus dem raus aus dem Haus aus dem alten Haus sind wir raus.“ Diese Huldigung ist vor allem insofern bemerkenswert, als Smith – eine Mischung aus Thomas Bernhard und Klaus Kinski, um es für die nicht Eingeweihten mal etwas übermütig zu vereinfachen – zu jenen Künstlern gehört, die partout nicht wollen, dass ihnen jemand ihre Ehrerbietung bezeugt. Wahrscheinlich wünscht er Knarf Rellöm ein Kettensägenmassaker an den Hals, wenn er von dem Stück Wind bekommt, und in ein paar Monaten dürfte Musikern von Jeffrey Lewis bis Ego Express Ähnliches bevorstehen. Sie gehören zu einer Schar Wagemutiger, die sich, organisiert von Knarf Rellöms Label Zickzack, an dem Projekt „Tribute to The Fall“ beteiligen.

Knarf Rellöm With The Shi Sha Shöllem: „Einbildung ist auch ’ne Bildung“ (Zickzack/Indigo)