Graben zwischen Arm und Reich wird breiter

Die internationale Arbeitsorganisation ILO kritisiert die Globalisierung. Sie bedrohe die Souveränität von Staaten

BERLIN taz ■ Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) wird in Kürze eine deutliche Kritik am bisherigen Prozess der Globalisierung veröffentlichen. Seit den 90er-Jahren seien „zunehmender sozialer Ausschluss und Verarmung in manchen Weltregionen“ zu verzeichnen, schreibt die in Genf ansässige Organisation in ihrem Bericht „Eine faire Globalisierung – Chancen für alle schaffen“. Die Studie, die am 24. Februar veröffentlicht werden soll, liegt der taz vor.

Erarbeitet hat sie eine unabhängige Kommission aus 21 Mitgliedern, darunter die finnische Ministerpräsidentin Tarja Halonen, der Präsident von Tansania, Benjamin Mkapa, Weltbank-Kritiker Joseph Stiglitz, Toshi- ba-Aufsichtsratschef Taizo Nishimuro und SPD-Politiker Ernst-Ulrich von Weizsäcker. Den Anstoß zur Gründung der Kommission hatte ILO-Generaldirektor Juan Somavia gegeben. Deutlich kritisiert die Kommission die herrschende Wirtschaftspolitik: „Die Globalisierung darf sich nicht nur um Märkte, sie muss sich um die Menschen kümmern.“ Das Motto der Globalisierungskritiker „Eine andere Welt ist möglich“ variiert sie zu „Wir sind sicher, dass eine bessere Welt möglich ist“.

Wenngleich der Bericht deutlich macht, dass die Globalisierung auch Fortschritt gebracht und rund 200 Millionen Menschen Asiens aus der absoluten Armut herausgeholt hat, so überwiegt doch die kritische Perspektive: „Der Graben zwischen Reich und Arm wird breiter.“ Besonders die materielle Ausstattung afrikanischer Staaten südlich der Sahara würde gegenüber den Ländern des Nordens zurückfallen. Ähnliches sei in Lateinamerika zu beobachten. Das harte Regiment der Wirtschaft stelle den sozialen Zusammenhalt, die nationale Souveränität und die kulturelle Identität der Menschen in Frage. Von einer ökologischen Nachhaltigkeit könne oft genug keine Rede sein.

Die Autoren stellen fest, dass sich die Globalisierung in einem „ethischen Vakuum entwickelt habe, in dem Markterfolg zum einzig gültigen Ziel“ geworden sei. Ökonomie, Politik und Soziales müssten wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.

So klar die Kritik ausfällt, so nebulös bleibt der Weg zu einer Alternative. Die Verfasser plädieren dafür, den nationalen Regierungen wieder mehr Macht gegenüber transnationalen Organisationen einzuräumen. Mit nationalen Gesetzen könne man den notwendigen Rahmen für Unternehmen setzen. Außerdem unterstützt die ILO-Kommission die Millenniumsziele der Vereinten Nationen, die unter anderem eine Halbierung der Zahl der Menschen in absoluter Armut bis 2015 vorsehen.

Darüber hinaus allerdings erschöpft sich der Bericht im Ungefähren. Viel ist die Rede von einer „kohärenten“ Politik der großen Wirtschaftsinstitutionen wie der Weltbank und anderer Organisationen. Wie aber zum Beispiel die Arbeitsschutzbestimmungen der ILO gegenüber den Liberalisierungsbemühungen der Welthandelsorganisation aufzuwerten seien, verrät die Studie nicht. Am konkretesten ist noch die Idee, Wirtschafts-, Handels- und Sozialminister gemeinsam tagen zu lassen.

Die Zurückhaltung ist in der heterogenen Zusammensetzung der Kommission begründet. Die Vertreter diverser Nichtregierungsorganisationen hatten Schwierigkeiten, sich etwa mit dem Präsidenten des Internationalen Arbeitgeberverbandes auf gemeinsame Positionen zu einigen. Damit überhaupt etwas herauskommt, hatte ILO-Chef Somavia die Studie von einem unabhängigen Gremium erarbeiten lassen. In der ILO selbst verhindern die Machtblöcke von Gewerkschaften, Unternehmerverbänden und Regierungsvertretern viele Neuerungen, die Somavia gerne anschieben würde. So sind bis heute Basisinitiativen nicht in der ILO vertreten. HANNES KOCH