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Archiv-Artikel

Farben ignorieren lernen

Heute Abend findet das dreitägige Schulprojekt „Afrodeutsch – Fremd im eigenen Land“ seinen Abschluss mit einem Konzert von ehemals bei den „Sisters Keepers“ engagierten Sängerinnen

von JONAS BERHE

Schulunterricht mal ganz anders. Gebannt lauschen SchülerInnen den Erzählungen und Berichten der geladenen Künstlerinnen. Die Sängerinnen Meli, Mamadee, Onejiru und Ayo diskutierten in den vergangenen zwei Tagen an drei verschiedenen Hamburger Gesamtschulen mit rund 300 SchülerInnen über ihre Arbeit in dem antirassistischen Zusammenschluss Sisters Keepers. Mit einer ähnlich konzipierten und zum größten Teil von ihren Mitgliedern bewältigten Tour haben 2002 die Brothers Keepers auf den alltäglichen und brutalen Rassismus in der neuen Bundesländer geantwortet. Nicht umsonst nannte sich die damalige Hit-Single „Adriano (letzte Warnung)“ und bezog sich direkt auf Alberto Adriano, ein Todesopfer rassistischer Gewalt.

Die Veranstalter des in der Gesamtschule Stellingen gastierenden Projekts – Rock-Links und die Bundes- und Landeszentralen für politische Bildung – wollten nun eine Auseinandersetzung mit dem Rassismus der alten Bundesländer forcieren, der sich im Grad seiner Instiutionalisierung, Brutalität und Alltäglichkeit von dem der neuen kaum unterscheidet. Entsprechend sprachen die Sängerinnen von Situationen, in denen sie rassistische Diskriminierung erlebt haben. Dabei wollten sie sich nie als hilflose Opfer verstanden wissen, erzählten von Widerstandsformen und berichteten von politischen Organisationen wie der Initiative Schwarzer Deutscher und Schwarzer in Deutschland (ISD) oder der Gruppe Afrodeutsche Frauen (ADEFRA), die für ihre frühe Politisierung verantwortlich waren.

Die Sängerinnen berichteten auch von der legendären HipHop-Gruppe Advanced Chemistry, die schon Anfang der neunziger Jahre mit ihrem Song „Fremd im eigenen Land“ rassistische Zustände im wiedervereinten Deutschland angriff. Die aus Stuttgart angereiste Meli betonte, dass es bei ihren Projekten in erster Linie darum gehe, ein positives Bewusstsein für die afrodeutsche Minderheit zu schaffen. Und sie sprach sich mehrfach für eine intensivere Zusammenarbeit migrantischer Minderheiten in Deutschland aus.

In den Schuldiskussionen selbst herrschte leider eine eher dünne Rassismusdefinition vor. Die Rede von „Vorurteilen“ verstellte den Blick für die weiteren Zusammenhänge von Rassismus. Dass dies aber in direkt mit der Institution Schule zusammenhängt, stellten verschiedene SchülerInnen fest. Eine Schülerin der 9. Klasse kritisierte, dass jetzt „zum ersten Mal über solche Themen geredet“ werde. SchülerInnen wie SängerInnen waren sich darüber einig, dass sowohl die deutsche Kolonialgeschichte als auch die so genannte Gastarbeitergeschichte zu wenig Raum einnimmt und im Geschichtsunterricht zu oft aus der falschen Perspektive betrachtet werde. Daher sind Besuche wie die von Sisters Keepers für eine gesellschaftskritische Unterrichtsform von großer Bedeutung.

Auf die Frage der KünstlerInnen, was denn Rassismus in Hamburg bedeuten würde, wussten vor allem migrantische SchülerInnen schnell eine Antwort. Während einige türkische Jungen und Mädchen aus der 9. Klasse der Gesamtschule Max Brauer von den Problemen bei der Suche nach einem geeigneten Praktikumsplatz und den unverhohlenen Absagen aufgrund ihrer Herkunft erzählten, schilderten andere junge Migranten Schikanierungen seitens der Polizei. Und einige gaben ihrer Wut über die örtlichen rassistischen Strukturen in Hamburg einen Namen: den Achidi Johns, des ersten Todesopfers der Brechmittelvergabe an vermeintliche Dealer durch UKE-Ärzte und Polizei.

Konzert mit Ayo, Mamadee, Meli, Onejiru, Kaye, Tesirée, feat. DJ Dennis (Trainingslager): heute, 19 Uhr, Gesamtschule Stellingen, Brehmweg 60Ayo live beim Tariningslager Collector‘s Club: 23 Uhr, Molotow