Nachruf als Aufruf

Zurück zur Verheißung

Jetzt ist hier eine angenehme, prenzelbergige Schlemmerbude wider den Friedrichshainer Restaurant- und Kneipenkonformismus. Früher war’s aber nicht schlechter. Mehr noch: Hier gab es die beste Bar, die ich mir vorstellen konnte. Noch voll von Verheißungen und vielschichtigen Verrücktheiten, geeignet für die ganz großen Abstürze sowie bequem nur eine Straße von der eigenen entfernt.

Im Pfadfinder galt es trunken aus einer Wanne voll Legosteinen eine Welt zu erschaffen, die es da draußen noch nicht gab, nur das Bezahlenmüssen blieb zwischen diesen vormals weiß getünchten Wänden, auf denen schwarzer Filzstift viele Lebensweisheiten für den Moment verewigte. Geraucht werden durfte nicht – außer indischen Midas-Zigaretten mit geheimnisvoller Wirkung. Was darin war, verriet Finder nicht. Er wohnte hinten, wo heute Rucola-Salate gemacht werden, und ließ dort nach Wunsch Goldene-Zwanziger-Erotika über eine Leinwand flimmern.

Der Tee und auch das Bier, der Kuchen und vielleicht sogar die Seife im Regal mit den Haushaltswaren, alles war Bio in diesem Laden mit Vollsortiment für Großstadtdistinguierte. Absinth wurde weihevoll kredenzt, ein Kind lief noch Mitternacht mit strengem Blick hellwach umher, die Jungs tranken abends vor dem Laden, über den Sommer, gemütlich ihr Bier zu Patschuli-Räucherei, und alles war einfach nur gut. Irgendwann aber blieben die Jalousien verschlossen, und Finder ging. Eine Weile kam dann orientierungsloses Nichts mit Hausverwaltungstelefonnummer, später dieses Restaurant – und jetzt wir davor. Also reingehen? Ja. Sicher ist es nett. Sonst erzählen wir von den alten Geschichten und wie es wieder werden muss, hier, in der Niederbarnimstraße. NIELS MÜNZBERG