: Das Öl kommt vor der Ordnung
In Kirkuk wird geplündert, und von den amerikanischen Spezialeinheiten ist in der Stadt nichts zu sehen. Die US-Soldaten sichern Ölfelder und Raffinerien
aus Kirkuk MARCUS BENSMANN
Der Jubel der Siegesfeier ist verzogen. Kurdische Peschmerga patrouillieren über die mit Glassplittern, Papierfetzen und zerborstenen Möbeln übersäten Straßen Kirkuks. Auf dem Hauptplatz der nordirakischen Stadt hängt die gestürzte Saddam-Hussein-Statue vom Sockel. Die Gemälde und Mosaiken, die den irakischen Präsidenten mal als Scheich und mal als Anzug tragenden Politiker darstellen, sind abgefackelt und vom Ruß geschwärzt. Auf Lkws und Fahrrädern, mit Kutschen und Handkarren schaffen die Plünderer ihre Beute in Sicherheit. Eisschränke, Möbel, Fernseher wurden zum Beutegut der aufgeputschten Menschen, nachdem die irakische Armee sich praktisch in nichts aufgelöst und die Stadt verlassen hat.
Die Peschmergaführer der verschiedenen kurdischen Parteien haben sich in ehemaligen Gebäuden des irakischen Macht- und Parteiapparats eingerichtet. Die Plünderer haben vor allem in diesen Gebäuden ganze Arbeit geleistet und in manchen Fällen nicht einmal die Steckdosen in den Wänden gelassen. Mitten im Chaos von umgestürzten Schränken, zerfledderten Akten und zerschnittenen Saddam-Hussein-Porträts residieren sichtlich zufrieden die neuen Herren der Stadt. Die Peschmergaführer, ob sie nun der PUK, der KDP oder der Sozialdemokratischen Partei angehören, erklären in ihren provisorischen Hauptquartieren unisono, dass sie sich sofort aus der Stadt zurückziehen werden, sobald die amerikanischen Truppen in die Stadt kommen. Dies könne aber einige Tage dauern, bis die US-Streitkräfte in der Stadt etabliert seien.
Der Kommandant der Sozialdemokratischen Kurdischen Partei, der allein in Kirkuk 1.000 Peschmerga befehligt, erklärt jedoch den sinnfälligen Unterschied zwischen zivilen Kurden, die aus Tradition ein Gewehr besitzen, und den regulären Peschmergas. Erstere hätten, nach den Worten des Kommandanten, ein unverzichtbares Recht darauf, in der Stadt zu bleiben. Weiterhin sollten die zivilen Parteistrukturen der Kurden in Kirkuk bestehen bleiben. Der in den nächsten Tagen zugesicherte Auszug der Peschmergas aus der nordirakischen Stadt wird wohl eher ein Schaulaufen für die Fernsehkameras sein als ein wirklicher Verzicht der Kurden auf die nordirakische Stadt.
Die amerikanischen Soldaten sind im Stadtbild kaum zu sehen, hier und da stecken ihre Jeeps im Straßenverkehr fest. Die Special Forces nehmen aber bisher keinerlei Einfluss auf die Geschicke der Stadt. Die amerikanischen Truppen konzentrieren sich auf die Sicherung der Ölfelder und Raffinerien an der Stadtgrenze. Großräumig haben sie das größte Ölfeld Terkis in Kirkuk mit Stacheldraht abgesperrt. Ein Ölquelle steht in Flammen und schickt dunklen Ruß in den Himmel über Kirkuk. Auf der Zufahrtsstraße zu der irakischen Ölgesellschaft stehen drei wachhabende Soldaten der Special Forces in voller Montur und machen dadurch schon optisch klar, dass an diesem Platz keine Plünderung mehr möglich sind.
Im Viertel Azadi in Kirkuk zeigen die Amerikaner jedoch keine Präsenz. Hier wurden über Jahrzehnte Kurden aus ihren Häusern vertrieben und an ihrer Stelle Araber angesiedelt. Ein hochgeschossener Kurde, der in dem Viertel einen kleinen Laden unterhält und der als Einziger auf der Straße geöffnet ist, zeigt auf ein Haus, dass von Arabern bewohnt ist. Vorsichtig öffnet sich die Metalltür einen Spalt und der Reporter wird eingelassen. Eine 32-jährige schwangere Frau steht in der Ecke des kleinen Hofs. Die Araberin erzählt, dass sie vor zehn Jahren aus Babylon nach Kirkuk gezogen sei und seither hier mit ihren vier Kinder wohne. Ihr Mann wollte vor dem Krieg Verwandte im Süden besuchen und sei seither verschwunden. Sie wisse, so erzählt sie, dass das nicht ihr Haus sei, aber wo solle sie denn jetzt hin, fragt die Mutter verzweifelt.
Der kurdische Besitzer des Hauses ist nach zehnjähriger Vertreibung aus Sulimanija in aller Frühe ebenfalls vorbeigekommen. Er trinkt mit den anderen Kurden auf der Straße Tee. Ihm tue die Frau Leid, sagt der Kurde, doch sei dies sein Haus und er wolle darin wohnen. Die arabische Frau verspricht, in zwei Wochen das Haus zu verlassen. Anders als die Mutter mit ihren vier Kindern haben viele arabische Einwohner schon frühzeitig die Häuser im kurdischen Viertel von Azadi verlassen. Weil sie wussten, dass die kurdischen Eigentümer nach dem Fall Kirkuks zurückkommen und ihre Häuser beanspruchen würden.