: „Lasst Stahlkugeln regnen“
Johann Kresnik bringt mit seinem Stück „Vogeler“ das Leben des Worpsweder Jugendstilkünstlers Heinrich Vogeler auf die Bühne. Ein Bericht von den Proben
Verlassen von der Welt wälzt sich der Maler im Torf. Lange vorbei ist seine Zeit als Jugendstilzeichner in der Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen, nun quälen ihn im Stalin-Russland Hunger und Not. „An Vogeler fasziniert mich der unerschütterliche Glaube an den Kommunismus“, sagt Regisseur Johann Kresnik. Derzeit probt Kresnik sein Theaterstück „Vogeler“, das das Leben des Malers, Romantikers und Revolutionärs Heinrich Vogeler (1872–1942) wachruft. Am 30. April ist Uraufführung im Schauspielhaus.
Zehn Uhr morgens, vierte Etage des Bremer Theaters, Probebühne „Hübner“: Als seien auch hier die hochansteckenden SARS-Erreger zu befürchten, trägt jeder Schauspieler einen Mundschutz. Der wirkliche Grund: Auf der Bühne liegt — eine Anspielung auf das Teufelsmoor rund um Worpswede — zentimeterdick Torf. Der würde sich ohne Maske in Mund und Rachen festsetzen. Besonders wenn sich Vogeler-Darsteller Torsten Ranft ein letztes Mal aufbäumt, bevor ihm Mitmenschen ein Grab schaufeln. Vierter Durchlauf: Immer noch gefällt Kresnik die Szene nicht, noch einmal wird gestorben, noch einmal der Torf zum Grab zusammengeschoben. Dann erst Pause.
Kresnik, anfangs Tänzer, heute einer der großen Tanz-, Theater- und Opernregisseure Deutschlands, ist bekannt für die Umsetzung dramatischer Lebensläufe. Das Leben des Philosophen Friedrich Nietzsche und der RAF-Terroristin Ulrike Meinhoff hat er auf die Bühne gebracht, aber auch das von Künstlern wie Francis Bacon, Francisco de Goya, Pablo Picasso. Aufsehen erregte auch seine Inszenierung von Karl Kraus’ Kriegsdrama „Die Letzten Tage der Menschheit“ im Bunker Valentin.
Die Entwicklung des großbürgerlichen Bremers Heinrich Vogeler vom träumerischen Jugendstilkünstler zum bitterarmen Revolutionär zu inszenieren, sei ein hartes Stück Arbeit gewesen, sagt der Regisseur. „Vogeler war weder Alkoholiker oder Vergewaltiger noch perfekter Kommunist, sondern ein Träumer.“ Sein Vater sei ein „Ideal-Mensch“ gewesen, bestätigt auch der in Worpswede lebende Sohn Jan Vogeler in einem dpa-Gespräch. Es sei gut, dass jetzt ein großer Künstler wie Kresnik die Tragödie seines Vaters als Opfer Stalins beleuchte.
Um die Gedanken dieses Träumers in seinem Stationen-Drama szenisch interessanter zu machen, lässt Kresnik die Sehnsucht des Malers Gestalt werden. Eine Tänzerin tritt als weibliches Pendant Vogelers auf. Auf einem gigantischen Bilderrahmen balancierend, umarmen sich der Künstler und sein Alter Ego. Dann der Kontrast: Schauspieler Ranft stößt mit einem Schildkrötenpanzer voller Stahlhelme krachend gegen die Wand. „Dreht die Musik auf. Lasst die Stahlkugeln regnen wie im Irak-Krieg!“, ruft der Regisseur. Kresnik liebt starke Szenen — auch wenn es diesmal um einen sanften Träumer geht. Sabine Komm, dpa