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Archiv-Artikel

Atomare Ölsuche in der Arktis

Bei der Ausbeutung der Öl- und Gasfelder in der Arktis will Russland auf Nukleartechnik setzen. In einem aktuellen Bericht warnt die norwegische Umweltschutzorganisation Bellona vor den Gefahren

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

„Dass man überhaupt mit der Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen in der empfindlichen Arktis-Umwelt anfängt, ist schon gefährlich genug“, sagt Fredric Hauge, Generalsekretär der norwegischen Umweltorganisation Bellona: „Doch dass man dabei auch noch auf nukleare Techniken setzen will, ist völlig unverantwortlich.“ Die russische Atomindustrie, deren Markt nach dem Ende der Sowjetunion fast vollständig weggebrochen war, hat nämlich nach Angaben von Bellona einen neuen Geschäftszweig entdeckt: Sie versucht, mit Nukleartechnik bei der Förderung von Bodenschätzen in der Arktis Fuß zu fassen.

Mithilfe schwimmender Atomkraftwerke, atomgetriebener Eisbrecher und Tanker sowie dem Einsatz nuklearer Unterwasser-Bohrschiffe könnten die besonderen klimatischen und geologischen Hindernisse überwunden werden, die der Ausbeutung der Öl- und Gasvorkommen in der Polarregion bisher entgegenstehen, propagiert die Atomlobby.

Über die bisher bekannt gewordenen Pläne und die damit verbundenen Gefahren, diese Hindernisse mithilfe der Atomkraft zu überwinden, hat Bellona einen Bericht verfasst, der am 1. Dezember offiziell vorgestellt werden soll. „From Polar to Nuclear?“ knüpft an bei den ersten Versuchen der russischen Nordflotte in den Neunzigerjahren, mithilfe umgebauter Kriegsschiffe auf dem zivilen Transportsektor Geld zu verdienen. Das sei zwar wirtschaftlich nicht lohnend gewesen, habe aber das Fundament für die heutigen Projekte gelegt.

Die Pläne für schwimmende Atomkraftwerke waren schon zu Sowjetzeiten entwickelt worden. Tatsächlich begann der Bau des ersten Prototyps aber erst im April 2007 auf einer Militärwerft in Nordwestrussland. Aufgrund von Konstruktionsproblemen wurde das Projekt kürzlich nach St. Petersburg verlegt; 2011 oder 2012 soll die „Akademik Lomonosow“ dort vom Stapel laufen.

Bis 2015 ist eine Flotte von sieben schwimmenden AKWs geplant. Sie sollen unter anderem zur Energieversorgung von Öl- und Gasförderplattformen in der Arktis eingesetzt werden. Noch in der Planungsphase sind atomgetriebene Unterwasserbohrplattformen. Diese werden am Meeresgrund verankert, was die Probleme vermeiden soll, die Bohr- und Förderplattformen über dem Meeresspiegel in der Polarregion mit Wellengang, Eisbergen und Eisschollen haben würden. Diese rund 100 Meter langen Konstruktionen mit einer Besatzung von 60 Menschen sollen in einer Meerestiefe zwischen 70 und 400 Metern stationiert werden und von dort aus Bohrlöcher bis zu 3500 Meter Tiefe bohren können. Für die Energieversorgung sollen Reaktoren mit einer Leistung von rund 100 MW zum Einsatz kommen.

Feuer und Gasexplosionen seien die Hauptrisiken, die mit allen Bohr- und Förderaktivitäten verbunden sind, konstatiert die Bellona-Analyse. Bei über- oder unterseeischen Konstruktionen mit nuklearer Versorgung könne dies dann zusätzlich noch eine radioaktive Verstrahlung zur Folge haben. „Was passiert, wenn sich in diesen abgelegenen Regionen ein Unfall ereignet? Wie sind die Reaktoren gegen einen Terrorangriff gesichert, gegen Sabotage oder Kaperung?“, fragt der Bellona-Atomkraftexperte Nils Bøhmer.

Das Umweltrisiko durch die Ausbeutung von Öl- und Gasreserven sei in der Arktis größer als an jedem anderen Ort der Erde, erklärt Bellona. Der Einsatz von „schwimmenden Mini-Tschernobyls wird dieses Risiko noch vervielfachen“.