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Archiv-Artikel

Aus der Sicht der Täter

„Von der Katharsis zur Historisierung“: Der Hamburger Publizist Günther Jacob befürchtet, dass in den Debatten um die Wehrmachtsausstellung die Opferperspektive verloren geht

Die Verbrechen werden in Handlungsketten zerlegt und damit nachvollziehbar gemacht

Interview: Andreas Speit

Sie wurde kaum von der Öffentlichkeit wahrgenommen, als das Hamburger Institut für Sozialforschung (HIS) 1995 zum ersten Mal die Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944“ auf Kampnagel präsentierte. Knapp neun Jahre später, nach kontroversen Diskussionen und einer überarbeiteten Ausstellung, gilt in der bundesdeutschen Gesellschaft der Mythos von der „sauberen Wehrnacht“ als gebrochen. Doch längst seien neue Mythen formuliert, kritisiert der Hamburger Publizist Günther Jacob. Morgen Abend setzt er sich im Philturm der Uni Hamburg mit dem geschichtspolitischen Diskurs auseinander, der die Ausstellungen begleitet hat.

taz hamburg: Mehr als 30 Buchtitel, die von der Kontroverse um die Ausstellung handeln, sind auf dem Büchermarkt. Sie sagen: Je mehr über die Wehrmacht gestritten wird, desto weniger erfahren wir über die verantworteten Verbrechen. Haben wir Sie in diesem Punkt richtig verstanden?

Günther Jacob: Gänzlich unbekannt waren die Taten der Wehrmacht vorher ja nicht. Neben den von beiden Ausstellungen präsentierten Details des Vernichtungskrieges produzierte jedoch gerade die „Kontroverse um die Ausstellung“ Vorschläge zu einer geschichtspolitischen Bewertung dieser Ereignisse. Diese geschichtsphilosophischen, völkerrechtlichen und ethischen Metadiskurse über die „Bedeutung“ des Gezeigten bilden inzwischen ein dickes Sicherheitspolster zwischen den Taten der Wehrmacht und der Gegenwart.

Sie wollen damit sagen, dass dass mit dem Aufarbeiten einzelner Aspekte die gesamte Dimension verdrängt würde?

Ein genaueres Hinschauen kann den Schrecken vergrößern – oder aber die Evidenz der Mordtaten durch ein Pro und Contra kleinarbeiten, monströse Verbrechen in Handlungsketten zerlegen und damit nachvollziehbar machen.

Während die Opfer vor allem nach den Motiven der Täter fragen, gilt Ihnen zufolge die typische deutsche Frage entweder den Umständen, den Gefühlen der Täter oder der Erklärung der Taten aus der Zeit heraus.

Das wird am Beispiel der heutigen Wahrnehmung des „Partisanenkrieges“ der Wehrmacht deutlich. Obwohl bekannt ist, dass die Ermordung der sowjetischen Juden und der kommunistischen Kommissare unter dem Deckmantel der Partisanenbekämpfung durchgeführt wurde, verändert sich die Wahrnehmung dieser Ereignisse durch den von der Ausstellung angebotenen völkerrechtlichen Deutungsrahmen so sehr, dass man inzwischen vor pauschalen Urteilen warnt. Man könne, so heißt es nun häufig, bei vielen Fotos nicht nachvollziehen, ob das, was man dort sieht, eine völkerrechtskonforme oder eine völkerrechtswidrige Erhängung ist. In diesem Nachvollzug tritt die historische Deutung in ein Verhältnis zur damaligen Deutung der Täter.

Obwohl von den „Verbrechen der Wehrmacht“ weiterhin die Rede ist, präsentieren sich die Deutschen immer häufiger als Opfer?

Diese Selbstdarstellung stand bis vor nicht allzu langer Zeit unter Revanchismusverdacht. Die gegenwärtige deutsche Erinnerungskultur versteht sich hingegen als Teil des westlichen Holocaust-Diskurses, nicht als dessen Objekt. Flucht, Vertreibung und Bombenkrieg werden aus ihrem Kausalzusammenhang herausgenommen und als Menschenrechtsverletzungen diskutiert, als „ethnische Säuberung“ und „Verbrechen gegen die Deutschen“. Man sagt jetzt: „Die Legende von der sauberen Wehrmacht ist beerdigt, aber die Mär vom sauberen Bombenkrieg gegen Deutschland hält sich.“

An die Stelle des einstigen Konflikts, der aus einer verdrängten Identifizierung mit den Tätereltern folgte, ist Ihrer Meinung nach eine Historisierung getreten, die einen abschließenden Charakter hat?

Nüchterne Sachlichkeit gilt als zentrales Qualitätsmerkmal der zweiten Ausstellung. Doch diese Historisierung ist kein Effekt des zeitlichen Abstandes, sondern ein politisches Bedürfnis. Sie verleugnet allerdings den genealogischen Zusammenhang, die Verpflichtung der Nachkommen gegenüber den Alten.

Morgen, 18 Uhr, Uni Hamburg, Philturm, Hörsaal B