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Archiv-Artikel

Aus Angst abtauchen

Hamburger Flüchtlingsberater diskutieren mit UNHCR und Kindernothilfe über Lage in Afghanistan. Helfer geißeln Abschiebepläne des Rechts-Senats und warnen vor Panik

Rafiq Shirdel kennt viele Landsleute, die sich nicht in die Ausländerbehörde wagen. „Vor allem junge Männer haben Angst, sofort abgeschoben zu werden“, sagt der Afghane. Shirdel sitzt auf einem Podium im Museum der Arbeit. Unter dem Motto „Den Menschen helfen – die Abschiebung verhindern“ diskutieren an diesem Samstag hier lebende Afghanen mit Vertretern des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) und von Hamburger Beratungsstellen die Lage am Hindukusch und Hamburgs Plan, dorthin baldmöglichst abzuschieben. „Freiwillig kehrt jetzt niemand zurück“, so Shirdel, „in Afghanistan gibt es nichts.“

Das bezeugt Dietmar Roller, der neben Shirdel auf dem Podium sitzt. Roller ist für die Kindernothilfe in dem kriegszerstörten Land tätig. Jetzt zählt er vor rund hundert Zuhörern „die Dramen“ auf, welche die Rückkehrer erwarteten: Das Heim von Fremden bewohnt oder von Bomben zerstört, Kämpfe rivalisierender Clans, Zwangsrekrutierungen, Hunger und mangelnde medizinische Versorgung, 26 Prozent Kindersterblichkeit. Wegen der schlechten Sicherheitslage, betont auch Karsten Lüthke vom UNHCR, appelliere seine Organisation an die Innenminister, Pläne zwangsweiser Rückführung zurückzustellen: „Solche Überlegungen sind verfrüht.“

Lüthkes Mahnung gilt vor allem Innensenator Dirk Nockemann (Offensive), der angekündigt hat, seine Behörde werde im Februar mit der Abschiebung afghanischer Flüchtlinge beginnen. Dies behält sich Hamburg als einziges Land in einem Beschluss der vergangenen Innenministerkonferenz (IMK) vor.

Ob der Ankündigung sind viele der 8.000 nur mit einer Duldung hier lebenden Afghanen „in Panik“, wie Fanny Dethloff, Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche, beklagt. Wenn diese abtauchten statt sich um Duldungsverlängerung zu bemühen, „hat die Stadt ein innenpolitisches Problem“. Sie wirft dem Rechts-Senat vor, „bewusst Panik zu schüren“, um Afghanen zur Ausreise zu drängen. Zu dieser Strategie gehöre die Schließung von Flüchtlingsunterkünften. Deren Bewohner rechneten mit Abschiebung, da sie noch immer nicht über neue Quartiere informiert seien. Dethloff: „Wir machen dort Suizid-Prävention.“ UNHCR-Mitarbeiter Lüthke will indes beruhigen und sagt: „Das Auswärtige Amt teilt unsere Meinung über die Sicherheitslage in Afghanistan, und das müssen alle Innenminister zur Kenntnis nehmen.“

Die treffen sich im Juli, um erneut das Thema zu beraten. „Dann ist Nockemann nicht mehr Senator“, meldet sich ein afghanischer Junge im Publikum zu Wort, „da mit den Schill-Leuten keiner mehr regieren will.“ Doch auf die Frage des Jungen, ob etwa ein SPD-Senat die Afghanen „schonen würde“, zucken die Podiumsgäste nur hilflos die Schultern. EVA WEIKERT