: Körting, bitte erklären Sie!
Der SPD-Innensenator muss heute im Ausschuss darlegen, wie eine Liste mit neun so genannten Problemkiezen entstanden ist. Anwohner hatten sich über die Stigmatisierung ihrer Viertel erregt
VON PLUTONIA PLARRE
Was genau ist ein Problemkiez? Spätestens seit Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vor einigen Wochen auf einer Liste neun Kieze mit diesem Begriff belegte, sorgt das Thema in Berlin für hitzige Diskussionen. Anwohner empören sich über die Stigmatisierung ihres Wohnviertels. Auch die Polizei ist über die Art und Weise, wie die Kiezliste zustande kam, alles andere als froh. „Das Verfahren ist sehr unglücklich gelaufen“, heißt es. „Da werden Äpfel mit Birnen verglichen.“
Heute wird die Debatte im parlamentarischen Innenausschuss fortgesetzt: „Strategien der Berliner Polizei im Umgang mit Problemkiezen“, lautet der Tagesordungspunkt. Vorher wird Körting allerdings nicht umhin können zu erklären, wie es zu der Auswahl der neun Kieze gekommen ist: Wasserstadt, Wilhelmstadt, Neustadt, Falkenhagener Feld (alle in Spandau), Beusselkiez, Soldiner Kiez (Wedding), Klausenerplatz (Charlottenburg) Neukölln Nord (Rollbergviertel und Sonnenallee) und Schöneberg Nord.
Rein in den Topf, umgerührt, Deckel drauf, fertig. Nach Informationen der taz ist das Kiezgebräu wie folgt zustande gekommen: Im vergangenen Sommer beauftragte die Innenverwaltung die damals sieben Polizeidirektionen, in ihrem Zuständigkeitsbereich die Sorgenkinder unter den Kiezen aufzulisten. Hintergrund waren Schlagzeilen über den Soldiner Kiez und das Rollbergviertel. Schlagzeilen über Ausländerkriminalität, Integrationsprobleme und drohende Parallelgesellschaften, womit Bevölkerungsgruppen gemeint sind, die ihre Konflikte ohne Polizei regeln.
Der Fehler war, dass die Direktionen bei der Anfrage keine einheitlichen Maßstäbe an die Hand bekamen. Das führte dazu, dass die Antworten sehr subjektiv ausfielen, und so verschwommen ist nun auch das Bild. Was für die eine Direktion ein dickes Problem ist, ist für andere noch lange keines. Nur so ist zu erklären, warum aus Spandau vier Problemviertel anzeigt wurden, aus Kreuzberg aber kein einziges. Warum, fragt man sich, taucht der gesamte Ostteil der Stadt in der Liste überhaupt nicht auf?
Eigentlich müsste eine neue Erhebung auf seriöser Datenbasis durchgeführt werden. Doch danach sieht es nicht aus. So wie sie ist, könne Körtings Liste aber nicht stehen bleiben, meinen Sicherheitsexperten. Ihr Vorschlag: Auf Grundlage vorhandener Erkenntnisse zwischen den Kiezen je nach Problemgrad zu differenzieren.
Denkbar wäre ein Dreiteilung von A bis C. In Kategorie A fielen Kieze wie der Soldiner Kiez und das Rollbergviertel, die aufgrund vieler Straftaten und Trennungstendenzen im Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen von der Polizei als gefährlichstes Pflaster in Berlin geführt werden. „Das sind klassische Problemkieze“, heißt es. Kategorie B wären so genannte Stand-by Kieze, die auf der Kippe stehen, wo sich die Lage aber noch nicht so zugespitzt hat wie bei A.
Bliebe noch Kategorie C: Kieze, in denen keine auffällige Häufung von Straftaten zu verzeichnen ist, sich die Anwohner aber wegen eines Wegzug der Mittelschicht, Ladenschließungen und zunehmender Verwahrlosung des Wohnumfeldes in ihrem Sicherheitsgefühl beeinträchtigt fühlen. Die Mehrzahl der Problemkieze falle in Kategorie C, lautet die Einschätzung.
Nicht zu verwechseln mit Problemkiezen sind so genannte Brennpunkte und gefährliche Orte. Die Begriffe gehen in der Öffentlichkeit quer durcheinander. Von Brennpunkten spricht die Polizei bezogen auf Verkehrsknotenpunkte oder Treffs etwa von kurz geschorenen Jugendlichen, wenn von dort Störungen zu erwarten sind. Als gefährliche Orte – eine schärfere Kategorie – stuft sie Straßen und Plätze ein, die unter Kriminalitätsgesichtspunkten als besonders bedeutsam gelten. In Berlin gibt es im Moment rund 20 „gefährliche Orte“, wie den Breitscheidplatz und die Hasenheide – wo die Polizei verdachtsunabhängige Kontrollen durchführen kann.