: Geschwollner Kamm
Nach dem 1:1 beim HSV sucht BVB-Trainer Sammer nach der angemessenen Methode, sein Team wachzurütteln
HAMBURG taz ■ „Nur so viel, ich bin aufgeladen“, erklärte Dortmunds Trainer Matthias Sammer nach der Begegnung. Ein aufgebrachter Sammer also, das konnte jeder sehen. Grundsätzlich Neues wollte der gereizte Trainer nach dem 1:1 beim HSV dennoch nicht nach außen tragen. Die Sorge, dass Sammers Ärger chronische Ausmaße annimmt, wird nicht erst seit Samstag und durch Stürmer Marcio Amorosos Verhalten genährt. Dieser setzte sich nach sieben Minuten erstmal gemütlich an den Rand, um seine Stiefel in aller Ruhe zu wechseln. Als eine halbe Minute später der linke Läufer Dede seine Schnürsenkel nochmals mit einer neuen Schleife zieren musste, wartete man gespannt, wie Sammer sich wohl entladen würde. Sönke Glindemann, vierter Schiedsrichter und damit der Mann für psychologische Sonderfälle am Spielfeldrand, dürfte nach 90 Minuten und zahlreichen kontroversen Gesprächen mit Sammer jedenfalls eine heisere Kehle und zerrüttete Nerven gehabt haben.
Gereicht hat seine Intervention nicht, Sammer die Sorge vor einem Magengeschwür zu nehmen. Auch nach Spielende verging keine Minute, die er nicht nutzte, Stresshormone auszuschütten. Er, wie auch HSV-Trainer Kurt Jara betonten gemeinschaftlich, wie ärgerlich sie über die unklaren Regelauslegungen des Schiedsrichters Helmut Fleischer gewesen seien.
Letztlich dienten diese Scharmützel nur der Verarbeitung einer ereignis- wie wortreichen Woche in Dortmund. Nach der letzten Heimniederlage gegen Werder Bremen besuchte Präsident Gerd Niebaum das Team bereits zum zweiten Mal hintereinander, um es mit einer „ruhigen Ansprache“ (Sammer) auf die Folgen hinzuweisen, sollte die Champions-League-Qualifikation in dieser Saison verpasst werden. „Er geht noch viel zu sanft mit uns um“, erklärte Sammer und legitimierte damit sein härteres Durchgreifen, um die Einstellung seiner häufig „zu schnell zufriedenen“ Spieler zu hinterfragen. Der schnürsenkelknotende Amoroso wurde schon in der 46. Minute durch Ricken ersetzt. Dass Dortmund für Sammer spielerisch zu wenig bot, schien mal nicht Magengeschwür fördernd – trotz seiner Forderung an das Team, mehr „Galligkeit“ auf dem Platz zu zeigen.
Damit versetzte Sammer sein Team zurück in die fußballerische Grundschule, um mit Hilfe dieses Umweges den Orientierungssinn seiner Spieler in Richtung Champions-League zu schärfen. „Wir müssen erst wieder Fußball arbeiten, bevor Zauber und Glück zurückkehren können.“ Spielerisch begibt sich Dortmund auf das Niveau des HSV. Wohl kein Team profitiert derzeit mehr von der Durchschnittlichkeit der Konkurrenten um einen Uefa-Cup-Platz als die Hamburger.
„Die Stabilität ist vorhanden, der Glanz aber fehlt“, legt Sportchef Dietmar Beiersdorfer nüchtern Stärken und Schwächen dar. Auf einem entsprechenden Attraktivitätslevel unterhielten beide Teams die 55.000 Zuschauer in der ausverkauften Arena. Zusätzlich verstand es Schiedsrichter Fleischer („Der schlechteste Mann auf dem Platz“, so Torsten Frings), die Partie mit vielen Spielunterbrechungen und einer übertriebenen gelb-roten Karte gegen Frings zu zerfasern. Erst ab der 60. Minute erreichte das Spiel annähernd das Niveau einer Erstrundenbegegnung im Uefa-Cup.
Der Hamburger Hollerbach schlug einen Pass auf den Kopf des klein gewachsenen Romeo, was dieser zu seinem elften Saisontor nutzte. Postwendend fiel der 1:1-Ausgleich durch Jan Koller – nach freundlicher Vorarbeit seiner beiden tschechischen Nationalteamkollegen beim HSV, Milan Fukal und Tomas Ujfalusi. „Schön wär’s gewesen“, formulierte Jara dann auch das Motto des Tages aus Hamburger Sicht, nachdem weder drei Punkte noch die Olympiakandidatur ihren Weg nach Hamburg fanden. Entspannte Töne im Vergleich zu Sammer, der frustriert feststellte, dass diese Leistung „am Ende nicht reichen wird“.
Jetzt müsse er sich erst mal beruhigen, sagte Matthias Sammer. Das war ein gelungener Therapieansatz, um den Schnellkochtopf Dortmund nicht unter Erwartungsdruck explodieren zu lassen. OKE GÖTTLICH