Behinderte in der Warteschleife

Langsam wird die Arbeitsmarktpolitik à la Florian Gerster in Bremen spürbar: „Selbstbestimmt leben“ und Ausbildungsträger warnen vor Einschnitten bei der Ausbildung und Rehabilitation von Behinderten

taz ■ Behindertenvertreter und Ausbilder von Schwerbehinderten sind alarmiert. Seit Jahresbeginn beobachten sie, wie das Bremer Arbeitsamt bei Ausbildung und Rehabilitationsmaßnahmen von Schwerbehinderten in bislang ungekannter Weise eingreift – zum Nachteil von jungen Behinderten, die eine Ausbildung machen wollen. Oder zu Ungunsten von älteren Menschen, die beispielsweise nach einem Unfall eine berufliche Neuorientierung suchten.

Ausgerechnet im laufenden „Europäischen Jahr des Menschen mit Behinderung“ zeichne sich eine Verschlechterung bei der Integration von Behinderten in den Arbeitsmarkt ab, warnte gestern Wilhelm Winkelmeier von der Bremer Beratungsstelle „Selbstbestimmt leben e.V.“ Einschnitte beobachtet er derzeit in unterschiedlichster Form. So mussten beim Berufsfortbildungswerk Bremen (bfw) rund 15 Behinderte eine eigentlich zwölfmonatige Eingliederungsmaßnahme nach nur vier Monaten im März „Knall auf Fall“ abbrechen. „Das Arbeitsamt hat die Finanzierung nicht weiter übernommen“, bestätigt bfw-Mann André Meißner. „Für die Betroffenen und unsere Partner in der Wirtschaft sind das sehr schwerwiegende Eingriffe.“ Auch beim Berufsbildungswerk (bbw), dem größten Bremer Träger für berufliche Erstausbildung Schwerbehinderter, mischte sich das Arbeitsamt ein: 30 Jugendliche, die das Amt bereits für den Ausbildungslehrgang im kommenden Oktober gemeldet hatte, wurden wieder abgemeldet. Für einige von ihnen soll es „eine billigere Ersatzlösung“ geben, heißt es. Andere Jugendliche wurden aufgefordert, weiter zur Berufsschule zu gehen.

Im Bremer Arbeitsamt war dazu gestern keine Stellungnahme zu erhalten. „Selbstbestimmt leben“ deutet diese Vorkommnisse derweil als Vorboten einer verschärften Lage. Zwar versichere die Bundesanstalt für Arbeit offiziell, dass es bei der Ausbildung Behinderter nicht weniger Geld gebe. Doch sei durch die letztjährige Vermittlungsinitiative „Programm 50.000“ viel Geld gebunden, das jetzt fehle. „An der Basis jedenfalls kommt nichts an“, sagt Winkelmeier.

Dass zugleich Eingliederungshilfen für Beschäftigung stockten, erbost Bildungsträger und Behindertenberater zusätzlich. Behinderte, die trotz aller Schwierigkeiten einen Arbeitgeber gefunden haben, müssten zurzeit verstärkt darum kämpfen, dass diese Finanzhilfe für den Berufseinstieg überhaupt übernommen werde. „Das ist Geld, das die Arbeitgeber brauchen, um Arbeitsplätze für bestimmte Personen mit Behinderung neu zuzuschneiden und auszustatten“, sagt bfw-Mitarbeiter Meißner. 98 Prozent aller Arbeitsplätze für Behinderte entstünden beim Mittelstand. „Da macht ein Zuschuss einen Unterschied“ – auch für Weiterbildungsträger wie das bfw. Dessen Maßnahmen nämlich werden über die neuen Bildungsgutscheine finanziert, die aber nur an Träger gehen, die eine 70-prozentige Vermittlungsquote erreichen. Ein Ziel, das Behindertenverbände bundesweit als Ausgrenzungsmaßnahme kritisiert haben – „und das sich ohne Eingliederungshilfe für die Arbeitgeber zusätzlich verschärft“, wie Meißner betont.

Die Negativ-Prognosen lassen sich anhand der offiziellen Bremer Arbeitsmarktdaten bislang noch nicht erhärten: Im März zählte das Bremer Arbeitsamt mit 1.307 schwerbehinderten Arbeitslosen sogar 14 weniger als im März des Vorjahres. Doch bundesweit ist die Zahl arbeitsloser Schwerbehinderter in den ersten drei Monaten dieses Jahres bereits um 25.000 in die Höhe geschnellt – möglicherweise auch, weil bei der bundesweiten Vermittlungsinitiative „Programm 2000“ die ersten Verträge schon wieder auslaufen. Trotzdem sehen die Weiterbildner keinen Grund zur Entwarnung: „Das Ausbildungsjahr beginnt erst im Oktober“, sagt Michael Müller, Betriebsratsvorsitzender im Berufsbildungswerk bbw. Bis dahin werde der Missstand deutlicher sichtbar sein. Nach Verhandlungen mit der Bundesanstalt für Arbeit habe das bbw eine Nullrunde eingeleitet. Zehn von 250 Stellen im Bremer bbw seien daraufhin unbesetzt geblieben. ede