: Der Anwalt der Arbeiter
Nicht nur Kafka, sondern auch Vizesekretär der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt: Das Literaturhaus in der Fasanenstraße zeigt die Ausstellung „Kafkas Fabriken“
Vor dem Literaturhaus im Garten liegt ein alter VW-Käfer auf dem Rücken, auf dem „Kafkas Fabriken“ steht. Dies ist auch der Titel einer Ausstellung, die zunächst im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar gezeigt wurde und nun im Literaturhaus in der Fasanenstraße zu sehen ist. Sie gliedert sich in 30 Kapitel. Es gibt Vitrinen mit Briefen, Postkarten, Gegenständen, auch ein Filmchen, wo man Felice am Parlographen sieht, und viele große Fahnen mit schönen Zitaten wie: „Den Tag über im Amt, Abends in Gesellschaft, in der Nacht auf den Gassen und nichts übers Maß. Eine in ihrer Natürlichkeit grenzenlose Lebensweise.“ („Beschreibung eines Kampfes“).
Die Austellung zeigt, dass das, was man als depressiven Text eines einsamen, beziehungsunfähigen, philosophisch begabten Menschen mit Selbst- und Glaubenszweifeln oft liest, dass dies einem ungeliebten Büroalltag abgetrotzte Schreiben eben auch das verarbeitet, von dem es sich absetzt. Also nicht nur Literarisches, Philosophisches und Religiöses, sondern auch Produktionsverhältnisse – die trostlose Lage der Industriearbeiter seiner Zeit, die Kafka als Vizesekretär der Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen recht gut kannte. Im Büro war er ab 1908 „für die Irrtümer, die Berufskrankheiten, die Fehlgriffe der Arbeiter (...) zuständig. Ihre Arbeitsbedingungen hatte er vor Augen, ihre Löhne, das Arbeitstempo, den blutigen Fortschritt“, schreibt der Kafka-Experte Klaus Wagenbach im „Marbacher Magazin“, das eine Art Ausstellungskatalog ist.
Zunächst arbeitete er in der Unfallabteilung, später ging er in die Verwaltung. Die Arbeitsunfälle häuften sich und waren oft blutig. Allein 1913 gab es 26.000 Arbeitsunfälle in Böhmen, dem industriellen Kernland der K.u.k.-Monarchie. „In meinen vier Bezirkshauptmannschaften fallen (…) wie betrunken die Leute von den Gerüsten herunter, in die Maschinen hinein, alle Balken kippen um, alle Böschungen lockern sich, alle Leitern rutschen aus, was man hinaufgibt, das stürzt hinunter, was man heruntergibt, darüber stürzt man selbst. Und man bekommt Kopfschmerzen von diesen jungen Mädchen in den Porzellanfabriken, die unaufhörlich mit Türmen von Geschirr sich auf die Treppen werfen“, schreibt Kafka in einem Brief an Max Brod.
Kafka war sozusagen auch Anwalt der Not leidenden Arbeiterschaft. Er hielt öffentliche Vorträge über das Wesen der Arbeiter-Unfallversicherung, die von Arbeitgeberseite nicht selten angefeindet wurde, und beklagte oft, dass die Kollegen von der Gewerbeaufsicht, statt auf Seite der Arbeiterschaft zu stehen, als „Beschützer der Unternehmer“ auftreten würden. Dass die Kafka-Forschung zu sehr das hauptberufliche Wirken vernachlässigte, dass das Friedländer Schloss, dass als Vorbild von Kafkas Roman „Das Schloß“ gilt, nur auf dem Postkartenausschnitt allein steht, in Wirklichkeit aber umgeben war von Tuchfabriken, dass es in dem Roman auch um Industriearbeit geht, dass viele Arbeitsunfälle in seinen literarischen Texten vorkommen und ein Bericht über die Arbeit in einer amerikanischen Uhrenfabrik die Schilderung der Foltermaschine aus der „Strafkolonie“ beeinflusst hatte – dies alles und mehr vermittelt diese Ausstellung. Allerdings verhält es sich mit ihr wie mit vielen Literatur-Ausstellungen: Die ausgestellten Dinge wirken wie Requisiten eines Films, der von Kafka und den Fabriken handelt; eigentlich ist es informativer und interessanter, den Katalog („Marbacher Magazin 100, ‚Kafkas Fabriken‘“) zu lesen, als sich die ausgestellten Dinge anzuschauen. Vielleicht auch, weil sich die Aura kleiner Dinge im Glas der Vitrinen bricht. DETLEF KUHLBRODT
Bis zum 7. 5. im Literaturhaus in der Fasanenstraße 23, Charlottenburg