: Salz, die Unbekannte im Topf
Salz zwischen Küche, Natürlichkeit, Esoterik und Reinheitswahn
VON TILL EHRLICH
Die Kraft des Salzes ist unsichtbar. Alles hängt von der Dosierung ab, also von jener Menge, die wir in den Topf streuen. Das Mineral kann eine Speise genießbar machen und sie im Handumdrehen verderben. Die Grenze kann man bekanntlich nicht grammweise abwiegen, sie verläuft bei jedem Kochvorgang anders, wird durch das Verhältnis des Salzes zur Flüssigkeit bestimmt. Man kommt bei diesem Lernprozess wohl nicht ohne Misserfolge aus. Ein versalzenes Essen lässt sich nicht mehr retten, ist verloren. Eine versalzene Suppe auszulöffeln, ist eine Qual. Scharf und ätzend.
Ein Geheimnis des Salzes ist, dass man seinen Geschmack nicht wirklich in Worte fassen kann. Ebenso wie das, was das Salz geschmacklich mit der Suppe macht. Es löst sich auf, um in ihr seine Wirkung zu entfalten. Aber warum schmeckt die Suppe ohne Salz fad, ja eklig? Die Kunst des Salzens ist eine essenzielle, die sich dem verwehrt, der mit Salz etwas kaschieren will. Eine geschmacklich verwässerte Suppe gewinnt auch durch wohldosiertes Salzen nicht an Substanz. Salz ist kein Geschmacksverstärker. Es ist ein Kraftfeld. Ohne Natriumchlorid geht beim Kochen fast gar nichts.
Ein oft kolportiertes Missverständnis besagt, dass man so salzen solle, dass der Eigengeschmack einer Speise gehoben und keinesfalls überdeckt werde. Verschwiegen wird, was denn nun dieser Eigengeschmack sei. Zum Beispiel Fleisch. Viele können den Fleischgeschmack ohne Salz nicht aushalten. Salzverzicht löst offenbar Ekelgefühle und Abwehr aus. Ekel ist auch ein innerer Indikator, eine Sicherung, die man nicht ausschalten kann. Er hat immer etwas mit Überdruss und Grenzüberschreitung zu tun. Warum also können wir kein salzloses Fleisch ertragen?
Ohne Salz ist uns wohl die geschmackliche Unmittelbarkeit der animalischen Fette, Eiweiße und Aromen ungeheuer. Aus vegetarischen Kreisen hört man, dass der Mensch das Fleisch nur liebe, weil es gesalzen ist. Am liebsten wäre ihnen wohl, es gäbe kein Salz, dann gäbe es auch keine Massentierschlachtung.
Auch Kuchen, Torten und süße Speisen verlangen nach dem rätselhaften Mineral. Süßes wird geschmacklich durch eine Prise Salz strukturiert. Die Süße wirkt so konturierter. Anders ist es mit Umami, einem nahen Verwandten des salzigen Geschmacks. „Umami“ ist ein japanisches Wort, bedeutet so viel wie „herrlich“. Der sogenannte fünfte Geschmack wurde erst spät, vor hundert Jahren, als eigenständige Geschmackswahrnehmung entdeckt. Umamigeschmack beruht auf dem Aroma von Glutaminsäure, einer Art Aminosäure, die beispielsweise in Spargel, Tomate, Fleisch oder Käse enthalten ist.
Seltsamerweise gibt es keine deutschen Worte, um den fleischähnlichen Geschmack des Umami zu beschreiben. Er oszilliert zwischen salzig und süß. Gereifter Parmesankäse bildet diesen Geschmack besonders deutlich aus. Bekannt ist Umami besonders im negativen Zusammenhang, als Glutamat, ein synthetisch produziertes Würzmittel. Anders als das Naturprodukt Salz ist es ein höchst umstrittener Geschmacksverstärker, mit dem nicht nur die Foodindustrie mangelnde Produktqualität kaschiert.
Bis vor wenigen Jahren galt das standardisierte, chemisch gereinigte Kochsalz als etwas Banales, das vor allem als chemische Subs+tanz, als Natriumchlorid, genutzt und wahrgenommen wurde. Die Abwertung des Salzes zum rieselfähigen Kochsalz, das billig ist und kaum noch Wert besitzt, ist eine junge Entwicklung, die mit der Industrialisierung begann, als Salz zum Rohstoff der Industrie wurde.
Zuvor hatte Salz jahrtausendelang eine enorme wirtschaftliche und politische Bedeutung besessen. Bis Ende des 18. Jahrhunderts gab es kontrollierten Salzhandel und -steuern. Den sogenannten alteuropäischen Salzstädten wie Halle, Lüneburg und Schwäbisch Hall hatte der kristalline Stoff Reichtum und politischen Einfluss gebracht. Auch die Salinen des Salzkammerguts konnten immense Gewinne erwirtschaften. Zudem hatte das Salz eine spirituelle Bedeutungskraft.
Es war auch ein Ausdruck der Reinheit und der stofflichen Essenz des Lebens und der Materie. Die symbolische Reinigung durch das Salz wurde in der katholischen Kirche in verschiedenen Exorzismusritualen angewendet. So wurde etwa Neugeborenen bei der Taufe Salz unter die Zunge gelegt, zum Schutz vor dem Bösen.
In der Küche galt Salz bis vor kurzem als zu gewöhnlich, um darin ein kulinarisches Thema entdecken zu können. Seit einigen Jahren ist alles anders, es gab einen Paradigmenwechsel, der das Verhältnis zum Salzen auf den Kopf gestellt hat. Es ist eine ganz neue Konsumkultur entstanden, die irrlichternde Worte wie „Salzgenuss“ und „Salzkultur“ hervorgebracht hat.
Seitdem werden Edelsalze grammweise verkauft, oft zu unverhältnismäßigen Preisen. Der Feinkostbranche hat das sagenhafte Gewinne verschafft; mit dem wiederbelebten Mythos Salz lassen sich – je nach Sorte – wahnwitzige Preissteigerungen von mehreren hundert Prozent durchsetzen. Ob die momentane Salzwelle mehr als eine Mode ist, bleibt indes fraglich.
Salzmarketing verbindet geschickt Esoterik mit Natürlichkeitsideologie. Der Markt ist kaum mehr zu überschauen. So gibt es grobes „Ursalz“ aus dem Himalaja für die Salzmühle, ayurvedisches Zaubersalz aus Pakistan, feuchtes bretonisches Fleur de Sel aus „der letzten tausendjährigen Meerwassersaline in Guérande“, feingemahlenes „Tiefensalz aus Natursole“ oder „Sprühsalz-Alpenquellsole“, das als „die neue Art des Salzens“ angeboten wird.
Ein wichtiges Verkaufsargument ist dabei die „Reinheit“ des Salzes. Doch die gibt es nicht, weil gute Salze neben Natriumchlorid Spurenelemente von Algen oder anderen Mineralien enthalten. Diese „Verunreinigung“ macht den besonderen Geschmack aus.
Das raffinierte Kochsalz aus dem Supermarkt unterscheidet sich von den Edelsalzen vor allem darin, dass es chemisch gereinigt und rieselfähig ist. Weil Salz Feuchtigkeit anzieht und klumpt, werden etwa Silikate und Kalk zugesetzt. Mit Kochsalz kann man trotzdem kochen, für Basics wie Nudelwasser ist es ausreichend. Allerdings ist es vielen handwerklich hergestellten Sole- und Meeressalzen tatsächlich unterlegen, wenn es um das feine Abschmecken geht. Im direkten Vergleich mit einem guten Fleur de Sel wirkt die Salzkraft des Kochsalzes eher diffus, seifig und scharf. Fleur de Sel ist die „Salzblüte“, die oberste Schicht, die sich in den Salinenbecken bildet.
Eine neue Mode des Salzens ist, zartes Fischfilet oder Fleisch- und Geflügelfilet zunächst ungesalzen zu garen und nach dem Braten oder Grillen mit einigen Körnern Fleur de Sel zu bestreuen. Das feinkristalline Salz schmilzt auf der heißen Oberfläche und hinterlässt dort einen klaren und kräftigen Salzgeschmack.
Seltsam mutet der Erfolg einiger englischer Siedesalze an. Sie werden handwerklich aus Meerwasser gewonnen, wobei die Salzkristalle abgeschöpft werden. Der Markterfolg dieser Salze gründet sich vor allem auf seine crispe Konsistenz. Es sind kleine Flocken, die nicht besser als andere Salze schmecken, aber beim Kauen einen „Knuspereffekt“ auslösen (das Kilo kostet knapp 20 Euro). Der Differenzierungswahn zwischen gewöhnlichem Meersalz und Fleur de Sel hat dazu geführt, dass es inzwischen auch Milchschokolade und Karamellbonbons mit Fleur de Sel gibt. Heraus kann man das sündteure Salz kaum schmecken. Man muss eben daran glauben. Gewiss ist aber auch: Hat man einmal zum Meersalz gefunden, fallen einem keine guten Gründe ein, zum Kochsalz zurückzukehren.
TILL EHRLICH, Jahrgang 1964, serviert monatlich die taz-Sättigungsbeilage