Alle Macht den Bezirken

Grünen lehnen sich weit vor: Weitgehende Aufsplittung Berlins nach der Länderfusion ist für sie eine gleichwertige Option zu zentral regierter Stadt ohne Bezirke. Auch PDS und CDU für stärkere Bezirke

von STEFAN ALBERTI

Die Grünen schließen eine weitgehende Aufteilung Berlins nach der beabsichtigten Länderfusion mit Brandenburg 2009 nicht aus. Ein Modell mit zwölf eigenständigen Gemeinden, den jetzigen Bezirken, unter einem dünnen Dach einer Stadtverordnetenversammlung ist für ihren Landesvorstand genauso möglich wie eine kreisfreie Stadt, bei der die Bezirke wegfielen.

„Wir diskutieren das als gleichwertige Option“, sagte Schatzmeister Wolfgang Erichson gestern für die Landesspitze. In der rot-roten Koalition reagierte man zurückhaltend. „Da gehen die aber mächtig weit“, sagte SPD-Fraktionssprecher Thorsten Metter.

Hintergrund der Diskussion ist die Frage, welche Rolle eine 3,4-Millionen-Stadt in einem fusionierten Bundesland mit insgesamt nur knapp 6 Millionen Einwohnern spielen soll. Eine weitgehende Aufteilung Berlins hieße für die Grünen: Über den zu selbstständigen Kommunen mit eigenen Steuereinnahmen aufgewerteten Bezirken gäbe es laut Erichson zwar noch eine Stadtverordnetenversammlung und einen Oberbürgermeister. Deren Kompetenzen wären in diesem Modell aber weitgehend beschränkt auf Polizei und Verkehr.

Eine kreisfreie Stadt Berlin mit einem starken Oberbürgermeister würde nach Grünen-Verständnis hingegen bedeuten: Zerfall der erst 2001 von 23 auf 12 verringerten Bezirke in eine Vielzahl kleinerer Stadtteile. Die Bezirksverordnetenversammlungen könnten zu Ortsbeiräten mit deutlich verringerten Kompetenzen werden. Konkret auf eine Option festlegen wollen sich die Grünen erst 2004.

Aus der PDS-Fraktion berichtet Verwaltungsexperte Peter-Rudolf Zotl zwar ebenfalls von Überlegungen, die Bezirke nach süddeutschem Vorbild zu stärken. Den Grünen gesteht er allerdings ein „konsequentes Weiterdenken“ der PDS-Überlegungen zu. „Deshalb sollte man auch jetzt nicht über die Grünen herfallen und ihnen vorwerfen: Ihr wollt die Einheitsgemeinde auflösen.“

Für völlig abwegig hält Zotl allein den früher gehörten Vorschlag, Berlin auf eine Kernstadt zu verkleinern und aus den Außenbezirken eigenständige Gemeinden zu machen.

Die CDU-Fraktion hat sich zwar bereits darauf festgelegt, die Bezirke zu stärken, so ihr Verwaltungsexperte Matthias Wambach. Ob eine solche Stärkung aber auch eine eigene Gemeinde mit Steuereinnahmen bedeuten könnte, ist noch offen. Jedenfalls seien die Christdemokraten hier „näher an den Grünen als an der SPD mit ihrem eher zentralistischen Modell“, sagte Wambach.

Im November war der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in die Kritik geraten, als er laut über ein Ende der Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) nachdachte. Die Grünen sehen bei der Landesregierung generell Versuche, die Entwicklung in Richtung kreisfreier Stadt zu steuern. „Ich behaupte, das ist gezielte Senatspolitik“, sagte Schatzmeister Erichson, zugleich Grünen-Fraktionschef in der BVV Tempelhof-Schöneberg. Als Beispiel nannte er, dass nicht länger die Bezirke für Einbürgerungen zuständig seien, sondern die Innenverwaltung. Aus den Bezirken heraus hatte es schon zuvor Kritik gegeben, dass Finanzsenator Thilo Sarrazin zu sehr in ihre Finanzen eingreife.

Senatssprecher Michael Donnermeyer wies den Grünen-Vorwurf zurück. „Das sind Behauptungen ohne Substanz, die erst mal belegt werden müssten.“ Die veränderte Zuständigkeit für Einbürgerungen habe mit der Fusion nichts zu tun: „Das war ein Schritt zu Verwaltungsvereinfachung.“

Der Fahrplan zur Länderfusion von Berlin und Brandenburg sieht weiterhin für 2006 eine Volksabstimmung und für 2009 die Vereinigung vor. Ein erster Versuch war 1996 gescheitert. Der zweite Anlauf sei in jedem Fall der letzte, sagte Grünen-Landeschefin Almuth Tharan gestern. Ihre Partei werde die Fusion unterstützen. Beim ersten Anlauf hatte sich der Landesverband unentschieden gezeigt, die Brandenburger Grünen hatten den Zusammenschluss komplett abgelehnt.

Der Bund drängte gestern auf die Fusion. Die Schröder-Regierung habe daran ein „übergeordnetes und vitales Interesse“, äußerte sich der zuständige Finanzstaatssekretär in der Morgenpost und deutete Finanzhilfen an. Zuletzt hatten sich Berliner SPD und Brandenburger CDU gegenseitig „Lippenbekenntnisse“ und „parteipolitische Spielchen“ in der Fusionsfrage vorgeworfen. Die Diskussion war dabei dominiert von der Haushaltsmisere.