piwik no script img

Archiv-Artikel

Aschenputtel in Philz Town

Selbstsicher bis in den kleinen Zeh: Tristan Egolfs Roman „Ich und Louise“ ist dem Abschaum Amerikas gewidmet

Eines Morgenserwachen sie in einer Luxussuite – das kann nicht gut gehen

Ein Roman wie aus einem Cultural-Studies-Reader entsprungen. Der amerikanische Jungautor Tristan Egolf lässt in „Ich und Louise“ Vertreter aller möglichen Randgruppen und Subkulturen auftreten und inszeniert mit ihnen ein katastrophal-komisches Szenario.

Der zentrale Ort der Handlung ist die „Pension Desmon“. Dort wohnen die skurrilsten Gestalten: Rob, ein armloser Computerprogrammierer, der Transvestit Edwina (ehemals Bruce), ein gefeuerter Kampfhundtrainer von der Luftwaffe, Söldner, Sumo-Nazis, Alkoholiker. Kurz: der Abschaum Amerikas. Die Pensionsgäste sehen das ähnlich: „Es gibt Gesellschaften, die ihre Missgeburten bei der Geburt ersäufen. Wir müssen uns selber die Kugel geben.“

Aber irgendwie schlägt man sich durch in Philz Town. Der Erzähler Charlie Evans beispielsweise als „schwarzer Teufelsgeiger“ bei den Philzharmonikern. Er wirkt noch am normalsten. Sein Manko besteht zunächst nur in seinem Aussehen. Er ist das „Produkt eines schwarzen GI und (wie es hieß) einer kambodschanischen Prostituierten – was mir, in der Zeit direkt nach dem amerikanischen Krieg in Vietnam, die Zugehörigkeit zu gar keiner Gemeinschaft garantierte, egal ob schwarz, gelb, weiß oder grün“. Ob es daran liegt oder an seiner Lethargie, so richtig will es bei ihm beruflich nicht glücken. Nach einem katastrophalen, demütigenden Auftritt im Vorprogramm der Fascho-Heavymetal-Band „Volstagg“ wirft er seine Geigen in die Gosse.

Doch auch das sozialistische Tauschprojekt seines bestgehassten Freundes Tinsel ist nicht von Erfolg gekrönt. Der Anarchismus der Idee wird von den „Schlingschleichern“, einer Bande Rastafaris, allzu ernst genommen. Es kommt zur Plünderung und Zertrümmerung des biologischen Kornspeichers der „Militanten Veganerinnen“. Der „führende Billiganarchistenfuzzi“ und Saboteur des Viertels Tinsel muss dafür geradestehen. Es ist nicht das erste Mal, dass dem Chaoten das Ruder aus der Hand gleitet.

Irgendwas muss Tinsel aber haben. „Wenn er danebenliegt, ist er schlimmer als der Kuss des Todes, und wenn er trifft, gibt es keinen Besseren. Wahrscheinlich bleibt er so spannend, weil es keine Zwischenstufen gibt.“ Nicht die aussichtsreichsten Voraussetzungen für eine funktionierende Freundschaft, zeichnen sich beide doch dadurch aus, „für friedliche Umstände ungeeignet zu sein“.

Der lukrative Job als Rattenkiller in der Kanalisation von Philz Town ist daher auch wie geschaffen für die Antihelden. Da sie kaum noch tiefer sinken können, wechselt der Roman nun ins Märchenhafte. Charlie und Tinsel erwachen eines Morgens in der Luxussuite einer Traumfrau. Louise, „selbstsicher bis in den kleinen Zeh“, ist aus der Zivilisation, aus Manhattan. Man weiß weder so richtig, was sie nach Philz Town verschlagen hat, noch was sie von den zwei Außenseitern wollen kann. Doch auf einmal gehören die beiden zu den oberen Zehntausend – Aschenputtel lässt grüßen. Dass das auf Dauer nicht gut gehen darf, kann man sich denken. Und so gleicht es dem kitschigen Schluss eines Hollywood-Drehbuchs, wenn wir den Freunden bei einem Bankraub zusehen dürfen.

Der 1971 in Pennsylvania geborene Tristan Egolf wurde für seinen ersten Roman „Monument für John Kaltenbrunner“ zu Recht von der Kritik gefeiert. An Tempo, Skurrilität und infernalischer Sprache mangelt es auch in „Ich und Louise“ nicht.

Doch zeichnete den Debütroman nicht nur eine komplexere Handlung aus, sondern zwischen den Zeilen auch eine hellsichtige Gesellschaftskritik. Sein neues Buch wirkt daher in seiner eindimensionalen Trashigkeit mehr wie eine nachträgliche Vorstudie als wie ein eigenständiges Werk. „Ich und Louise“ ist in seiner Absurdität zwar kurzweilig, bleibt aber substanzlos.

Doch solche Art Kritik wird Egolf wohl kalt lassen. „Nur kein Drama!“, sagt eine seiner Figuren: „Du hörst dich an wie das Feuilleton der New York Times.“ Bei so viel subkulturellem Interesse kann das, so viel ist sicher, kein großartiges Kompliment sein. Antihelden lesen eben andere Zeitungen.

GUSTAV MECHLENBURG

Tristan Egolf: „Ich und Louise“. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2003, 240 S., 22,90 €