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Archiv-Artikel

amerika im krieg (19) Ein Tagebuch unseres USA-Korrespondenten Michael Streck

Das Amerika der „Underdogs“

Viele Nachrichten in den USA, die nicht unmittelbar mit dem Irakkrieg zu tun haben, werden derzeit verschluckt. So war eine vom US-Justizministerium veröffentlichte Statistik vielen Zeitungen nur ein paar Zeilen wert. Ihr Ergebnis: Im Juni 2002 saß die Rekordzahl von 2,1 Millionen Amerikanern im Gefängnis. Der Anstieg der vergangenen Jahre geht vor allem auf härtere Strafen für Drogen-, aber auch für Bagatelldelikte zurück. Die Inhaftierten umfassen 4,8 Prozent aller schwarzen Männer und 12 Prozent aller schwarzen Männer im Alter zwischen 20 und 34 Jahren.

Am Sonntag widmete sich die Washington Post ausführlich allen 108 bislang im Krieg getöteten US-Soldaten. Beide Meldungen haben zunächst nichts miteinander zu tun, verweisen jedoch auf das gerade in diesen Tagen ausgeblendete Amerika der „Underdogs“.

Von den 108 getöteten GI's (107 Männer und eine Frau der Hopi-Indianer) sind 25 Afroamerikaner und 21 Latinos. Zwei waren keine Amerikaner. Ihnen wurde postum die US-Staatsbürgerschaft verliehen. Fast die Hälfte kam aus den Südstaaten. Dieser Mikrokosmos ist jedoch ein Spiegelbild der Verhältnisse in den US-Streitkräften insgesamt. Rund zwei Prozent der 1,4 Millionen Soldaten zählenden Streitmacht haben keinen US-Pass, 34 Prozent sind Latinos und 20 Prozent Schwarze. Sie kommen aus den ländlichen Armenhäusern des Landes, aus Texas, Arizona, Mississippi, Illinois und West-Virgina, dem Heimatstaat von Jessica Lynch, der aus irakischer Kriegsgefangenschaft spektakulär befreiten Soldatin. Arbeitslosigkeit, Armut und Kriminalität prägen das Leben in diesen Kommunen. Den Familien fehlt das Geld für die High School. Vom College und Reisen können viele nur träumen.

Das Militär ist hier oft die einzige Hoffnung. Es ermöglicht eine Berufsausbildung, lockt mit der weiten Welt und finanziert später das Universitätsstudium. Und so makaber es klingt, aber den Familien Gefallener geht es materiell gesehen besser als zu Lebzeiten ihrer Soldaten. Sie können mit 250.000 Dollar aus einer vom Pentagon für alle in die Schlacht geschickten Kämpfer abgeschlossenen Lebensversicherung rechnen. Die hinterbliebenen Ehepartner erhalten zudem eine monatliche Rente, Waisenkinder eine kostenlose Universitätsausbildung.

Amerikas gefallene Helden sind ein Abbild der Streitkräfte, die ein Auffangbecken bilden für Angehörige unterprivilegierter Schichten und Minderheiten. Wer von ihnen nicht in der Armee unterkommt, sagen Zyniker, hat gute Chancen, hinter Gittern zu landen.