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Archiv-Artikel

jazzkolumne Die Umarmung des weißen Mannes

Blues bei der Berlinale: Auf dem Berliner Filmfestival liefen die ersten Teile von Martin Scorseses großer, siebenteiliger Bluesserie

Der Blues ist Stoff zum Leben. Er ist von der Art, wie deine Mutter kocht, sagt Archie Shepp. Der Saxofonist hat die Fire Music der Sechziger mit Blues abgefüllt, bis man sie atmen konnte. Der Blues ist die Heldensaga Amerikas, fügt Albert Murray hinzu. Er hat die Schlüsselromane über den Blues geschrieben. Was der Dokumentarfilmer Ken Burns in seiner 19-stündigen TV-, DVD-, und CD-Serie mit dem Jazz gemacht hat, durch Kanonbildung die Historisierung zu forcieren und ihre Richtung zu beeinflussen, hat Martin Scorsese nun mit einer siebenteiligen Serie über den Blues angeschoben.

Während bei Burns die Auseinandersetzung mit dem amerikanischen Rassismus im Zentrum stand, geht es Scorsese vor allem um das subjektiv geprägte Festschreiben von Erinnertem, Statements über eine untergehende Kultur. Scorsese beauftragte verschiedene Spielfilmregisseure, darunter Wim Wenders und Clint Eastwood, ihre Leidenschaft für den Blues in jeweils einen Mid-Budget-Film zu übersetzen. Entsprechend unterschiedlich sind die Ergebnisse auch ausgefallen. Wim Wenders stellte bei der Berlinale seinen Film „Soul Of A Man“ einem auffallend jungen Publikum vor, im Sommer soll er in die Kinos kommen.

Wenders erhielt entscheidenden Input von einem anderen Film, auf den er bei der Suche nach Originaldokumenten über den Gitarristen und Sänger J. B. Lenoir stieß, einen der drei afroamerikanischen Blues-Heros in seinem Film. Fündig wurde er bei einem freakigen Ehepaar in den amerikanischen Südstaaten, das vor vierzig Jahren zwei kurze Filme mit Lenoir für das schwedische Fernsehen gedreht hatte, um ihm Auftritte in Skandinavien zu verschaffen. Doch der erste Film wurde damals abgelehnt, weil er in Farbe war, das schwedische Fernsehen aber nur schwarzweiß sendete. Auch der zweite lief nie, weil er für unprofessionell befunden wurde: In einer einzigen Einstellung sieht man den Bluesmusiker neben dem schwedisch übersetzenden Ehepaar auf einem Sofa sitzen.

So lagen die beiden Streifen also jahrzehntelang ungezeigt im Küchenregal, bis das Bluesteam sie aufspürte, und ungeschnitten in „Soul Of A Man“ integrierte. Man sieht Lenoir darin nicht nur in seinem hippen Zebramantel, sondern bekommt auch eine Ahnung davon, mit welcher Begeisterung der schwarze Blues von weißen Fans damals umarmt wurde.

Für viele hier lief der Zugang zur Musik von Leuten wie J. B. Lenoir über den weißen, britischen Blues. So brachte der Bluesmusiker John Mayall in seinem Song „The Death of J. B. Lenoir“, 1967 kurz nach dem Tod Lenoirs veröffentlicht, eine europäische Lenoir-Rezeption in Gang, die auch die Originalplatten des Künstlers zur Kenntnis nahm. Dass Lenoir schon 1954 mit seinem „Eisenhower Blues“ als politischer Bluesmann in Erscheinung trat, beförderte seine Karriere in den USA nicht gerade. Letzte wichtige Stücke wie „Alabama March“, „Shot on James Meredith“ und „Vietnam Blues“ nahm Lenoir Mitte der Sechzigerjahre für den deutschen Bluespromoter Horts Lippmann auf, und es mutet schon seltsam an, dass eine engagierte Sängerin wie Cassandra Wilson von J. B. Lenoirs „Vietnam Blues“ erst durch Wim Wenders erfährt, als er sie bittet, das Stück für seinen Film neu zu interpretierten. Dass Scorsese mit Wenders einen Europäer engagiert hat, einen Film über die originäre afroamerikanische Musik zu drehen, ist, soweit es die Rezeptionsperspektive betrifft, also durchaus als Bereicherung zu werten.

Außerhalb der Konkurrenz lief im Wettbewerb „Lightning In A Bottle“ von Antoine Fuqua, der Kino-Konzertfilm zur Serie. Darin berichtet der Sänger Solomon Burke, wie schnell man als schwarzer Bluesmusiker in Lebensgefahr kommen konnte. Als er herausfand, dass er für eine Ku-Klux-Klan-Versammlung engagiert war, blieb ihm keine Zeit mehr, den Auftrittsort zu verlassen. Er hielt sich an die Anweisung, einfach weiter zu singen, egal was passiert. Nach 45 Minuten „Down In The Valley“ hatte er die Hölle überlebt.

Dieser – im Unterschied zu Wenders – schnelle Film wurde vor drei Jahren, also noch vor dem 11. 9. und den kriegerischen Folgen, in der Radio City Music Hall in New York aufgezeichnet. In dem Benefizkonzert traten damals neben B. B. King und Buddy Guy auch India.Arie mit ihrer Version von „Strange Fruit“ auf und Chuck D mit einer vorausschauenden Adaption des John Lee Hooker Klassikers „Boom, Boom, Boom“. Bei Chuck D. heißt er „No Boom, Boom“ und ist zu einem – zugegeben – eher peinlich simplen Anti-War- und Anti-Bush-Song mutiert. Ach, wäre die Lage nicht so ernst.

Chuck Ds Mitwirkung an einem anderen Film der Bluesserie brachte ihm nach der Erstausstrahlung viel Kritik ein, weil er es versäumt hatte, am Beispiel des einst führenden Blueslabels Chess das Phänomen der schwarz-schwarzen Ausbeutung im amerikanischen Musikgeschäft zu thematisieren.

In einer der vielen durchaus auch kontroversen Backstage- und Interviewsequenzen, die diesen Film so kurzweilig machen, kommt auch der schwarze Living-Colour-Gitarrist Vernon Reid zu Wort. Sein Statement, dass einige große Bluesmusiker einfach schlechte Menschen gewesen seien, ist verblüffend. Er spielte damit auf den einst des Mordes angeklagten Bluesmann Lead Belly an, der mit seinem „Jim Crow Blues“ gegen die Diskriminierung der Schwarzen protestiert hatte.

CHRISTIAN BROECKING