: Die Lurch-Lotsen
Kröten haben es schwer. Im Frühling zieht es sie zum Teich, aber liegt eine Straße im Weg, macht sich das nicht gut im Lebenslauf. Hunderte Meter von Folie haben Tierschützer deshalb in Berlin gespannt
von JULIANE GRINGER
Jens Scharon greift in einen Eimer, der im Boden eingelassen ist. Der Naturschützer ist unterwegs am Kleinen Weiher im Park des Evangelischen Königin-Elisabeth-Krankenhaus in Herzberge. Grüne Folie, 230 Meter lang, ragt etwa 30 Zentimeter aus dem Boden. Hier kommt keine Kröte durch. Darf er auch nicht, denn es handelt sich um einen Amphibienzaun.
Etwa 1.200 Kröten und Molche wohnen in dem Viertel. Die betonierte Zufahrt zu einem Heim in der Allee der Kosmonauten geht direkt durch ihren Kiez. Hunderte von ihnen würden jedes Jahr hier massakriert, wenn Jens Scharon, Artenschutzreferent des Naturschutzbundes (Nabu) Berlin, und die anderen Helfer nicht jeden Morgen früh aufstehen, die Kröten in die Eimer packen und über diese Straße tragen würden.
Die genauen Gründe, warum Kröten so verdammt „laichplatztreu“ sind, sind nicht genau erforscht. Vielleicht riechen sie den Teich? Jedenfalls wollen sie immer wieder dahin zurück, wo sie einst geboren wurden. Ob sich ihnen dabei nun eine Straße in den Weg stellt oder nicht.
Ein bisschen Heimatgefühl ist sicher ganz okay, aber das kostet den grünen Dingern leider noch zu oft das Leben. „In der Hochphase können es an einer Stelle wie dieser hier schon mal 50 bis 60 Tiere sein, die pro Nacht überfahren werden“, so Jens Scharon. Dann verwandle sich die Zufahrt in ein blutiges Schlachtfeld.
Die Krötenretter werden aktiv, indem sie entsprechende Zäune errichten und in Zeiten der Wanderung täglich patrouillieren oder beispielsweise Krötentunnel bauen. „Gerade an Stellen, wo das Problem immer wieder akut ist, sollte man auch über langfristige Lösungen nachdenken“, sagt Jens Scharon.
In Abständen von zwei, drei Metern sind die „Fangeimer“ für die Tiere positioniert. Laub liegt drin und ein Stock. Der dient anderem Getier wie kleinen Käfern oder auch mal Mäusen, die quasi illegal in den Eimer geplumpst sind, dazu, wieder aus dem Pott rauszuklettern. Kröten und Molche müssen drinbleiben und warten. Warten, bis einer der Naturschützer naht.
Gleich zwei Kröten tauchen auf der Hand von Jens Scharon aus dem Eimer auf. Das Männchen hat sich zur Befruchtung am Weibchen festgekrallt. Krötenmänner sind nicht gerade Gentlemen – die Mädels müssen sie nämlich zum Teich tragen, bevor sie dort auch ihren Spaß haben dürfen.
465 männliche Erdkröten, 107 Kröten weiblichen Geschlechts und 213 Jungtiere wurden im vergangenen Jahr am Weiher im Krankenhauspark erfasst – von den Naturschützern und eben nicht von dicken Reifen. In sechs Berliner Bezirken sind Schutzzäune installiert. Etwa 300 Eimer-„Fallen“ stehen bereit.
Bei hohen Geschwindigkeiten haben Kröten so gut wie keine Chance, heil auf den anderen Bordstein zu kommen. Selbst wenn sie nicht von den Reifen zerquetscht werden, verursacht die Druckwelle unter den Fahrzeugen schwere innere Verletzungen. Autofahrer sollten deswegen vorsichtig fahren, vor allem in der Nähe von Wald- und Feuchtgebieten, während der Dämmerung und in den Nachtstunden.
„Ük, ük, ük“, quietscht es aus dem Eimer. Das sind die Männchen, die sich von ihren Geschlechtsgenossen arg bedrängt fühlen. Unter Kröten herrscht Männerüberschuss. Das ist nicht gerade nett für die Weibchen, die deshalb auch mal von mehreren Herren belagert werden. Und nicht nett für die Männchen, die sich in verzweifelten Momenten auf alles stürzen, was ihnen in den Weg kommt: ob das nun eine Erdkröte ist oder ein Gummiball.