normalzeit : HELMUT HÖGE über Re-education
Die stinkende Nummer neun
Im Zusammenhang mit dem Irak ist jetzt von „Re-education“ die Rede. Als Mitbegründer der Westberliner Zeitung Hundert Blumen und Anhänger der chinesischen Kulturrevolution versteh ich etwas von „Umerziehung“. Damals ging es darum, die in China immer besonders arrogant aufgetretenen Intellektuellen aufs Land zu schicken – unter der Losung der „Drei Mits“: mit den Bauern essen, mit den Bauern arbeiten, mit den Bauern diskutieren.
Grad neulich erwarb ich im Antiquariat eine kleine Flugschrift aus den frühen Siebzigern: „Über die Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit in der chinesischen Kulturrevolution“, übersetzt hatte sie Joschka Fischer – aus dem Amerikanischen. Die Amis ließen sich damals als „China-Watcher“ nicht die Butter vom Brot nehmen. Heute ist dafür das deutsche Außenministerium geradezu ein Umerziehungslager für Exmaoisten geworden – jedoch ein weitgehend stummes. Der Einzige, der immer mal wieder öffentlich seinen Maoismus selbstkritisch ins Spiel bringt, ist der taz-Redakteur Christian Semler, ehemals Vorsitzender der KPD. Dabei äußert er fast immer sein Bedauern über die vielen chinesischen Kader und Intellektuellen, die damals jahrelang zu verblödender Landarbeit gezwungen wurden.
Ich kann das nur bedingt nachvollziehen, denn bei mir ging es seinerzeit damit weiter, dass ich im Zuge der „Anti-rechts-Kampagne“ erst bereute (Veruntreuung und Überheblichkeit) und mich dann zurück in mein Heimatdorf schlich – als Intellektueller (Stinkende Nummer 9) im Exil. Von dort wurmte ich mich wieder in die Uni ein. Bis ich dann nach der „Nelken-Revolution“ in eine norddeutsche Intellektuellen-Landkommune zog – zu Handarbeit und selbst gebackenem Brot. Später gründete ich die Hoyaer Bewegung „Kader aufs Land“ mit, um schließlich vollends als Landarbeiter mich bei wechselnden Bauern zu verdingen: „Dem Volke dienen!“ Es war dies noch keine Selbst-Umerziehung im Hinblick auf eine Aufhebung der Trennung von Hand- und Kopfarbeit, wie wir sie an der Uni zuletzt in den Seminaren des Maoisten Alfred Sohn-Rethel diskutiert hatten, der übrigens der Meinung war, in China sei man ihr zum Greifen nahe.
Inzwischen gibt es viele Erfahrungsberichte von chinesischen Intellektuellen selbst. Einige, wie Cong Weixi, können dabei auf bittere „20 Umerziehungsjahre“ zurückblicken. Bei anderen weiß man nicht, ob ihre „Dorfprosa“ nicht allzu geschönt, wenn nicht gar durch zwei Übersetzungen verfakt wurde: Bei Jack Chens einjährige Kaderverschickung in die Kommune „Glückseligkeit“ scheint mir das das Fall zu sein, aber auch bei Dai Sijies Gymnasiastenverbannungszeit in einem primitiven Bergdorf, wo er die Tochter eines Schneiders mit verbotenen Balzac-Leseabenden „umdrehte“. Bei Lulu Wangs „Seerosenspiel“ ebenso wie bei Anchie Mins „Rote Azalee“ haben wir es bereits mit amerikanisiertem „Umerziehungs“-Kitsch zu tun. Viele haben nicht nur die „Idiotie des Landlebens“ beklagt, ebenso viele wurden „Dableiber“.
Seitdem ich nach zehn Jahren zuletzt auch noch in einer ostdeutschen LPG arbeitete, weiß ich, dass die sozialistische Landwirtschaft aufgrund ihrer rigiden Trennung von Hand- und Kopfarbeit und der noch rigideren Arbeitsteilung verblödender ist als die westdeutsche Klein- und Großbauernwirtschaft. In China wird dies jedoch dadurch gemildert, dass die Leute die ganze Zeit bei der Feldarbeit miteinander reden. Es hat sich dabei und über die Jahrhunderte eine gewisse Autonomie des Hörens entwickelt: d. h., die Bauern kucken nicht auf, wenn jemand was sagt, sie konzentrieren sich weiter auf ihr (meist scharfes) Arbeitsgerät und hören, wer gerade spricht. Hierzulande sitzt man dagegen meist einsam auf seinem Trecker und starrt den ganzen Tag dumpf vor sich hin.
Diese Arbeitsweise gibt es schon lange und sie gilt für Mann und Frau. Man spricht deswegen zu Recht von den maulfaulen Bauern. Heidegger hat sie zuletzt als „beredte Schweiger“ gefeiert, weswegen Adorno ihn dann einen idiotischen Blubo-Philosophen gescholten hat. In China dagegen gelten die Bauern eher als geschwätzig und neugierig. Wenn man aber mit den Bauern zum Beispiel im Stall zusammenarbeitet – sind sie das hier auch. Wobei meine Aufgabe meist darin bestand, abweichende Produktionsformen, die ich auf anderen Höfen kennen gelernt hatte, zu schildern.
In China hatten die Intellektuellen nur die Aufgabe, zu lernen. Dahinter stand auch die sowjetische Erfahrung, wie sie zum Beispiel von Tretjakow in seinem Buch „Feld-Herren“ erwähnt wird: Er machte den Kolchosbauern sofort derartig viele Verbesserungsvorschläge, dass ihm ein Bauer schließlich sagte: „Hör auf – diese Arbeit, das ist unser Leben!“ Eine polnische Intellektuelle, die vor 28 Jahren Bäuerin wurde, resümierte unlängst: „Ich wollte dem Leben immer durch Arbeit entkommen – aber es hat mich dann doch eingeholt!“