: Made in Jail
In der JVA Tegel ist Ulrich Fehlau Geschäftsführer und PR-Beauftragter für Knastprodukte. Die Arbeit soll Inhaftierten die Resozialisierung erleichtern
von LUCIA JAY
Die Sonne kämpft noch gegen die grauen Wolken an diesem Frühlingsmorgen. An den Büschen vor dem roten Backsteintor sprießen die ersten kleinen Blätter. Dahinter liegt eine eigene, abgeschlossene Welt: die Justizvollzugsanstalt Tegel, Deutschlands größter Männerknast.
Routiniert schließt Ulrich Fehlau mit den großen Schlüsseln an seinem Bund die schweren Eisentüren auf und hinter sich gleich wieder zu. Fehlau führt durch seinen Bereich: das Arbeitswesen der Strafanstalt. Seit einem Jahr ist der gelernte Betriebswirt Geschäftsführer der JVA Tegel. Sein Auftrag: die im Jahr 2000 beschlossene Öffnung der Knastbetriebe für den freien Markt umzusetzen. Durch private Aufträge und den Verkauf im eigenen Laden sollen mehr Arbeitsplätze hinter Gittern geschaffen und soll der Umsatz erhöht werden. „Man könnte sagen, ich habe eine Art Kapitänsrolle übernommen, weil es vorher nicht geklappt hat“, erklärt Fehlau.
In der Tischlerei arbeiten an die 20 Häftlinge. „Früher hatten wir hier nur drogenabhängige Insassen, inzwischen ist unsere Klientel bunt gemischt, vom Eierdieb bis zum Mörder“, sagt der Betriebsleiter trocken. Fast alles, was hier geschnitten und geschliffen wird, hat Miniformat: kleine Betten, kleine Schränke, kleine Häuser. Und hinterher wird alles schön bunt angemalt. Denn die Holzmöbel und das Spielzeug bekommen fast ausschließlich Berliner Kitas.
Bis jetzt ist der Hauptabnehmer der Knastprodukte vor allem das Land Berlin. Die Druckerei erstellt Formulare für Ämter, die Buchbinderei bringt zerfledderte Bibliotheksbücher wieder in Schuss, und die Schneiderei fertigt Arbeitskleidung für Kantinenköche. Alles wird verwaltungsintern verrechnet. „Das ist die reinste Planwirtschaft: 90 Prozent werden vom Land abgenommen, nur die restlichen 10 Prozent sind kassenwirksame Einnahmen“, rechnet der gelernte Wirtschaftler vor.
Die Arbeit im Knast ist streng strukturiert – pro Woche 36 Stunden und 51 Minuten. Aber kalkulierbar ist die Produktion nicht. Wenn der Anstaltsalarm ertönt, stehen alle Räder still. Mit der Arbeitsmoral und damit auch mit der Einhaltung von Terminen sei das so eine Sache hier in Tegel, meint Fehlau: „Wenn die Burschen einen schlechten Tag haben oder einer nach einem halben Jahr Einarbeitung von heute auf morgen in den offenen Vollzug kommt, dann leiden die Aufträge darunter.“
Besondere Sicherheitsvorkehrungen gibt es nicht, wenn die Häftlinge mit Maschinen, Messern und Scheren hantieren. Aber „Vorfälle“ seien in den Betrieben selten, erklärt Ulrich Fehlau, „oft ist der Betriebsleiter viel eher eine Art Beichtvater für Probleme“.
„Ich bin eigentlich Zeichner“, erklärt ein junger Glaser mit halblangen dunklen Haaren und tätowierten Armen. „Hier mach ich Lampenschirme. Das ist immer noch besser als die anderen Jobs hier, obwohl – tätowieren tu ich lieber.“ Dann präsentiert er nicht ohne Stolz seine Berlin-Lampe: Dom, Brandenburger Tor und Siegessäule im Tiffany-Stil. Die Glaserei gilt als einer der kreativsten Betriebe der Anstalt. Sie bekommt viele Aufträge von draußen. Und die Bestellungen werden individuell angefertigt. „Wie es der Kunde eben haben will“, fügt Fehlau hinzu und erinnert wieder einmal an einen Vertreter, der die Qualität seiner Waren anpreist. „Unsere Lampen sind viel günstiger als draußen“, weiß der Lampenzeichner, „hier kosten die ja auch nur einen Zwölfer.“
In der JVA Tegel gibt es fünf gesetzlich festgelegte Lohngruppen. Je nach Leistungsstufe verdienen die Häftlinge zwischen 7,55 und 12 Euro am Tag. Davon werden ihnen drei Siebtel ausgezahlt – für Zigaretten oder Telefonkarten. Den Rest bekommen sie erst bei ihrer Entlassung. So wehren sich auch einige Knackis gegen die schlecht bezahlte Tätigkeiten. Sie wollen sich nicht ausbeuten lassen. Für andere stellen die Betriebe einen Freiraum dar. Und längst nicht alle Willigen finden einen Job im Knast. Es gibt zu wenige Arbeitsplätze.
Klaus Lange-Lehngut, Leiter der Vollzugsanstalt, betont den sozialen Aspekt. Die Arbeit im Gefängnis sei wichtig für die Resozialisierung der Gefangenen nach ihrer Entlassung. Kreative Arbeit und die Umsetzung eigener Ideen erleichtere ihnen den Einstieg auf dem freien Markt. „Wir müssen vor allem die Nischen für unsere Betriebe finden: Sonderanfertigungen zu vernünfigen Preisen.“ Eine Konkurrenz für auswärtige Betriebe werde Tegel wohl nie sein, da sind sich Fehlau und Lange-Lehngut einig. „Dafür fehlt uns Kapazität.“
Wenn mit dem Verkauf mehr Umsatz erzielt werden kann, bekämen die Gefangenen zwar nicht mehr Lohn, es könnten aber Investitionen in den anstaltseigenen Betrieben realisiert werden, erklärt Fehlau. Zum Beispiel neue Maschinen. Um aber die Einnahmen von Privatkunden zu erhöhen, „müssen wir die Produkte an den Markt anpassen und eigene Ideen entwickeln“, betont Fehlau. Blauweiß gestreifte Gefangenenhemden aus Tegel als Freizeithemden mit Gefangenennummer. Ein Verkaufshit oder völlig geschmacklos? Im Moment wird in Tegel so ungefähr jede Idee ventiliert. Gitterstäbe von 1898, die nun ausgetauscht werden, rosten im Hof der Schlosserei vor sich hin. „Wir könnten sie in kleine Scheiben schneiden, daneben die Unterschrift des Anstaltleiters setzen.“ Fehlau kommt in Fahrt. „JVA-Fenstergitterstäbe von 1898 – das würde sich doch gut verkaufen lassen.“ Aber hier scheiden sich die Geister.
Die Berliner sind mit derartigen Überlegungen nicht die Ersten. In Italien haben Gefangene eine eigenen Marke für T-Shirts gegründet. „Made in Jail“ heißt das Label, und die Motive sind lustige Comic-Knackis.
Doch Fehlaus knallharte Marketingideen finden nicht immer Zustimmung. Zähflüssig sei seine Arbeit in der JVA Tegel, lautet sein Resümee für das erste Jahr. „Es ist schwer, neue Ideen in die verknöcherten Beamtenköpfe reinzukriegen.“ Dabei sei der Vorbehalt der Bevölkerung gegen Produkte von Knackis überraschend gering, schätzt der Geschäftsführer seine Zielgruppe ein.
Ulrich Fehlau ist stolz auf seinen Knastladen. Er sitzt auch selbst hinter dem Verkaufstisch, wenn geöffnet ist. Die fertigen Produkte hat er persönlich in den Regalen angeordnet. Im Garten sind Grills in verschiedenen Variationen ausgestellt, auf der Wiese leuchten neben den stählernen Gartenmöbeln die ersten Schneeglöckchen. Nur „Knastladen“ darüber zu schreiben, das hat sich der Verkäufer Fehlau noch nicht getraut. Stattdessen steht „Ausstellungszentrum JVA Tegel“ am Tor.
„Ausstellungszentrum JVA Tegel“, Seidelstraße 41, 13057 Berlin. Öffnungszeiten: Montag 13–16 Uhr, Donnerstag 14–18 Uhr, Freitag 9–12 Uhr und nach Vereinbarung. Die Betriebe der JVA Tegel: Bäckerei/Konditorei, Bauhof, Beschäftigungstherapeutische Werkstatt, Buchbinderei, Druckerei, Gärtnerei, Glaserei, Kfz-Betreib, Malerei, Polsterei, Schlosserei, Schneiderei, Schuhmacherei, Sortier- und Montagebetrieb, Tischlerei. Im Internet: www.berlin.de/jva-tegel/index.html. Internetprojekte von Inhaftierten: www.planet-tegel.de