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Archiv-Artikel

„Das ist die totale Frustration“

Die schwebenden Tarifverhandlungen führen zu Unmut in den Verwaltungen. Beamte, Angestellte und Arbeiter leiden unter der ungewissen Lage. Und in den Ämtern im Ostteil der Stadt geht die Angst vor möglichen Kündigungen um

Stillstand. Seit bald drei Monaten bewegt sich nichts mehr in den Tarifverhandlungen im Berliner öffentlichen Dienst. Die Hauptleidtragenden sind die Arbeitnehmer vor Ort. Sie hängen in der Schwebe.

„Das ist die totale Frustration, dass es nicht vorwärts geht mit den Verhandlungen.“ Martina Ulbricht, Personalratsvorsitzende der Bezirksverwaltung Mahrzahn-Hellersdorf, ist aufgebracht. Für sie geht es bei dem Tarifpoker um viel mehr als um ein paar Prozentpunkte: „Es geht um ein Stück Rechtssicherheit für meine Kolleginnen und Kollegen. Die sind total verunsichert.“

Der Hintergrund: In der Ostberliner Bezirksverwaltung wird gerade mal wieder der Rotstift angesetzt. Kinder-, Jugend- und Kultureinrichtungen stehen auf der Abschlussliste, mehre hundert zum Teil altgediente Angestellte bangen um ihre Arbeitsplätze. Denn Kündigungen können im Osten leichter vorgenommen werden als im Westen. Ulbricht: „Dort ist ein Angestellter über 40 mit mehr als 15 Dienstjahren praktisch unkündbar. Diesen Schutz haben wir im Osten nicht.“ Den Ostberliner Beschäftigten liege bei den Verhandlungen folglich vor allem eins am Herzen: ihren Kündigungsschutz auf Westniveau zu bringen.

Der Blick nach Mahrzahn macht deutlich: Die Front der Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ist nicht so geschlossen, wie es den Anschein hat. Westberliner und Ostberliner Beschäftigte verfolgen jeweils ihre spezifischen Interessen bei den Verhandlungen.

„Doch die Spaltung droht nicht nur zwischen Ost und West, auch zwischen Beamten und Angestellten könnte es zu Differenzen kommen“, fürchtet Martin Lutze, Verwaltungsbeamter im Westberliner Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf. Dort sitzen Beamte, die 42 Stunden pro Woche arbeiten müssen –Schreibtisch an Schreibtisch mit Angestellten, die nach einer 38,5-Stunden-Woche ins Wochenende gehen können. Und ein junger Angestellter mit Zeitvertrag, der um seine berufliche Zukunft bangen muss, sitzt neben einem älteren Kollegen mit sicherem Arbeitsplatz.

Der Beamte will weniger arbeiten und weiterhin volles Weihnachts- und Urlaubsgeld, der junge Angestellte mit Zeitvertrag seinen Arbeitsplatz behalten. Denn von den Ergebnissen der Tarifverhandlungen hängt ganz klar auch die Personalplanung der kommenden Jahre ab. Martin Lutze: „Vor allem die Kollegen mit Zeitverträgen hängen besonders in der Luft. Die hoffen natürlich, dass die anderen Arbeitnehmer ein Stück weit auf ihre Forderungen verzichten und dadurch Arbeitsplätze gesichert werden.“ Mit einer Ausbildung, die ganz auf den öffentlichen Dienst zugeschnitten ist, hätten sie auf dem freien Arbeitsmarkt kaum eine Chance, eine neue Stelle zu finden.

ANNE RUPRECHT