„Die bekochen wir noch“

Entsetzen („ojeojeoje“) in der Hauptstadt: Am Wochenende vom 30. Mai bis 1. Juni knubbelt sich hier alles: Kirchentag, DFB-Pokalfinale, SPD-Sonderparteitag – und jetzt auch noch die Zahntechniker!

von PHILIPP GESSLER

An die Zahntechniker hat niemand gedacht. Sie laden am 30. und 31. Mai zum „Berlin-Kongress 2003: 13. Berliner Zahntechnikertag“. Thema: „Hightech live – die Vollkeramikbrücke im Seitenzahnbereich“. Die Zahntechniker tagen zeitgleich mit dem 32. Deutschen Fortbildungskongress für die Zahnarzthelferin und dem 17. Berliner Zahnärztetag. Ort: Hotel Estrel an der Sonnenallee. Erwartet werden rund 500 Zahnis. Kein Problem.

Kein Problem? Am gleichen Wochenende findet der Ökumenische Kirchentag (ÖKT) statt – dessen Pressereferent Martin Wittschorek rechnet mit mindestens 150.000 Gästen. Hinzu kommt das Pokalfinale des Deutschen Fußballbundes (DFB), das mehr als 70.000 Kickerfans an die Spree locken soll. Und jetzt auch noch das: Der SPD-Sonderparteitag zur Diskussion (und Absegnung) des Reformkonzepts von Bundeskanzler Schröder findet ebenfalls an diesem Wochenende statt. Besser noch: voraussichtlich im Estrel-Hotel. Richtig, die Teen-Pop-Band Bro’Sis hoppelt auch noch durch Berlin.

„Saublöd“ findet Karl Weißenborn, Geschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverband Berlins, das: „Da bündelt sich alles.“ Besser wäre es, „wenn es sich nicht so knubbelt“. Gerade für die Kirchentagsbesucher könnte das zu einem „materiellen Problem“ führen, meint Weißenborn: Sie müssten („Angebot und Nachfrage“) gegebenenfalls auf teurere Betten ausweichen. Es sei denn, sie kämen privat unter: „Als Ausdruck der Nächstenliebe.“

Die Stadt aber könne alle Besucher aufnehmen – ja, dann wäre sie endlich einmal voll, meint Weißenborn. Schließlich lag die durchschnittliche Auslastung der Hotelbetten in Berlin im vergangenen Jahr bei nur 45 Prozent. Dennoch soll die Zahl der Betten von rund 68.000 im vergangenen auf 80.000 im kommenden Jahr steigen.

Auch in der Pressestelle des SPD-Parteivorstands zeigt man sich gelassen: Insgesamt kämen nur 400 Delegierte – etwa die Hälfte habe sowieso eine Bleibe in Berlin. Zudem ende der Parteitag am Sonntag, den 1. Juni, etwa um 18 Uhr. Dies sei so früh, dass wohl noch alle nach Hause kommen könnten. Das mit dem Kirchentag und dem Pokal-Finale habe man auch gewusst. Schließlich sprächen viele Sozialdemokarten auf dem Kirchentag – nur die Sache mit den Zahnis …

Anfrage beim DFB in Frankfurt: Mit dem Kirchentag habe es Absprachen gegeben, versichert man; mehr ist von dort nicht zu erfahren. Manfred Beck, Geschäftsführer der Berliner Zahntechniker-Innung, kommentiert den Terminknäuel zwischen 30. Mai und 1. Juni nur mit einem „ojeojeoje“. Er verweist auf den Berliner Quintessenz-Verlag, der die Zahn-Tagungen organisiert. „Das glaube ich ja nicht“, entfährt es dort einer Mitarbeiterin der Kongress-Abteilung: „Ist ja unnormal.“ Da sei nichts abgesprochen worden. Und dass der Kirchentag an jenem Wochenende in Berlin stattfinde, sei „überraschend“ gewesen.

Wittschorek vom ÖKT bleibt cool: Mit dem DFB habe man sich „im guten Einvernehmen“ geeinigt. Die SPD treffe sich erst, wenn schon der Abschlussgottesdienst laufe. Und dass auch noch 500 Zahntechniker im Estrel seien, „fällt nicht wirklich auf“: „Die bekochen wir auch noch.“ Übrigens sei schon im Jahr 2000 klar gewesen, wann der ÖKT in Berlin stattfindet.

Ein „wirkliches Problem“ aber bekomme man langsam mit der Privatquartier-Kampagne des Kirchentags: Bis jetzt hätten die Berliner erst 7.500 kostenlose Betten angeboten – mindestens 20.000 aber brauche man: „Es wird langsam wirklich eng.“ Gerade junge Eltern mit kleinen Kindern könnten sich ein Hotel oft nicht leisten. Dabei hätten doch alle immer gesagt, die Berliner seien gastfreundlich. Also sei Berlin doch „gottlos“? Das glaubt Wittschorek nicht: „Ich kenne auch gottvolle, nicht nette Menschen – auch in Berlin.“