: Die misstrauischen Nachbarn
Der syrische Präsident Baschar al-Assad gilt als kritischer Freund des Westens – jetzt sieht er sich Anfeindungen aus Israel und Amerika ausgesetzt
aus Damaskus KRISTIN HELBERG
„Saddam sitzt im Weißen Haus und trinkt Kaffee mit Bush“, „Saddam ist mit dem russischen Botschafter aus Bagdad entkommen und nach Moskau weitergereist“, „eine amerikanische Militärmaschine hat ihn ausgeflogen“, „er hat sich rasiert und ist untergetaucht“. Was den Verbleib des irakischen Diktators betrifft, haben die Syrer Fantasie. Nur in einem Punkt sind sich alle einig: In Damaskus ist er nicht. Tatsächlich erscheint es unwahrscheinlich, dass sich Saddam Hussein in Syrien versteckt hält, die beiden Länder waren jahrzehntelang verfeindet. Ihre herrschenden Cliquen verband nicht viel mehr als der Name einer Partei: Hisb al-Baath, Baath (Wiedergeburts-)Partei. Die 1947 in Damaskus als arabisch-nationalistische gegründete Partei entwickelte sich in den 60er-Jahren zu einer sozialrevolutionären Massenorganisation mit zwei politischen Leitideen: Panarabismus und Sozialismus. Sowohl in Syrien als auch im Irak gewann die Baath-Partei an Einfluss, allerdings übernahmen 1966 in Damaskus und 1968 in Bagdad konkurrierende Parteiflügel die Macht – der erste Bruch zwischen den Nachbarn.
Die Feindschaft zwischen ihren politischen Führern, Hafis al-Assad und Saddam Hussein, wuchs in den 80er-Jahren, als sich Syrien im irakisch-iranischen Krieg auf die Seite der Iraner stellte. Gemäß dem Prinzip vom Feind meines Feindes, der mein Freund ist, unterstützte das säkulare Syrien den religiösen Iran. Damit isolierte sich Syrien in der arabischen Welt und legte die Grundlagen für ein bis heute enges Verhältnis zu Teheran. Im Golfkrieg von 1991 stand Syrien dann mit einem Mal auf der „richtigen“ Seite – nicht Damaskus hatte seine politische Haltung geändert, sondern Washington. Saddam Hussein mutierte vom US-Partner zum Schurken, Hafis al-Assad vom sozialistischen Gegner zum Kriegsverbündeten. Die amerikanischen Interessen in der Region hatten wieder einmal neue Allianzen geschaffen.
Im Laufe der 90er-Jahre festigten die USA und Syrien ihre Beziehungen. Der seit dem Tod seines Vaters im Juni 2000 regierende Baschar al-Assad gilt als kritischer Freund des Westens und bemüht sich um eine Öffnung des Landes, allerdings nicht um jeden Preis. Ohne zu zögern, hat sich Syrien nach dem 11. September der Koalition gegen den Terror angeschlossen, die USA haben die syrische Regierung mehrmals für ihre gute Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus gelobt. Erst der jetzige Krieg im Irak hat das syrisch-amerikanische Verhältnis gestört – nachhaltig, wie es scheint. Syrien sieht in dem Einmarsch der Alliierten eine koloniale Eroberung. Die Region habe sich durch den Irak nicht bedroht gefühlt, Massenvernichtungswaffen seien bis heute nicht gefunden worden, sagt Syriens Außenminister Faruk al-Schara. Deutlicher als andere arabische Länder wie Ägypten und Jordanien hatte sich Syrien gegen den Krieg ausgesprochen, auch als Mitglied im Weltsicherheitsrat. Im aktuellen Konflikt gilt die Regierung in Damaskus deshalb als ein führender Vertreter arabischer Interessen.
Das könnte die Amerikaner jetzt auf den Plan rufen – nicht nur die Amerikaner. Bouthaina Schaaban, Sprecherin des Außenministeriums, ist überzeugt, dass Israel hinter den Anschuldigungen steckt. Der Einfluss der Regierung Scharon im Weißen Haus sei so groß wie nie zuvor. Die Tatsache, dass die Vorwürfe innerhalb der US-Administration vor allem von den neokonservativen Falken ausgehen, bestätigt die Syrer in dieser Einschätzung. Rumsfeld, Cheney, Wolfowitz, Perle und Fleischer zählen alle zu engagierten Vertretern israelischer Interessen in Washington. „Wir haben keine Probleme mit den USA, unser Verhältnis ist gut“, sagt Schaaban. „Das einzige Land, das Interesse an einem schlechten syrisch-amerikanischen Verhältnis hat, ist Israel.“
Israel besetzt auf dem Golan noch immer einen Teil des syrischen Staatsgebiets, offiziell befinden sich beide Länder im Kriegszustand. Syrien befürchtet, eine Neuordnung des Nahen Ostens könnte zugunsten Israels ausfallen. Mit den Amerikanern im Osten und Israel im Südwesten fühlen sich die Syrer jetzt in der Klemme. „Wir sind eingekreist von militärischen Supermächten“, sagt Tariq, ein syrischer Arzt. Der Vorwurf, Syrien verfüge über chemische Waffen, sei geradezu lächerlich angesichts des nuklearen Waffenarsenals der Israelis. Auch Sadik al-Azm, ein führender Intellektueller des Landes, glaubt, dass eine amerikanisch geprägte Nachkriegsordnung im Irak schwerwiegende Folgen für die syrische Regierung haben könnte. „Wenn Irak unter einer neuen Regierung Frieden mit Israel schließt, könnte eine informelle Achse entstehen: Kuwait, Katar, Irak, Jordanien, Israel – das wäre für Syrien eine große Bedrohung.“