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Archiv-Artikel

Aventis? Übernehmen Sie!

VON HERMANNUS PFEIFFER

1. Bereiten Sie sich heimlich vor. Denken Sie daran, jede feindliche Übernahme funktioniert wie ein Krieg, schließlich wollen Sie feindliches Territorium erobern. Also: topsecret!

Dummerweise wird auch der Gegner kämpfen, und sei es wie bei der Schlacht um Mannesmann, um die Abfindungen für den Vorstand in die Millionen-Höhen zu treiben. Eine schlechte Vorbereitung kostet (finanzielle) Opfer. Die Pläne für die Übernahme liegen daher schon lange fertig in Ihrer Schublade, es geht um die Neuordnung der europäischen Pharmaindustrie. Strategie und Finanzen sind im Reinen, Heerscharen von externen Mergers und Akquisitionsfachleuten, Wirtschaftsprüfern, Rechtsanwälten, Medienexperten und sonstigen Teammitgliedern stehen bereit für den ersten Schlag. Die angeheuerten Investmentbanken – wegen der Medienwirkung bitte keine Provinz-Truppen à la Hypo-Vereinsbank oder Sparkasse Hirschfeld – scharren schon lange mit den Hufen. Es kann losgehen!

2. Wählen Sie den richtigen Zeitpunkt für die feindliche Übernahme. Auch die Großwetterlage muss stimmen. Am besten zeigen die Konjunkturbarometer nach oben, dann können Sie von optimistischen Blick in die Zukunft, „gemeinsamen Projekten“ und vom „Erbe von Hoechst nutzen“ schwadronieren, wie es Sanofi-Chef Jean-François Dehecq gerne tut. Lassen Sie sich aber auch nicht von schlechten wirtschaftlichen Zeiten abhalten. Dann empfiehlt sich das Gerede vom „letzten Rettungsanker“ – für wen auch immer. So oder so, wenn die Nummer gelaufen ist, wissen Sie, ob es der richtige Zeitpunkt war.

3. Überraschen Sie Freund und Feind. Bei Sunzi finden sich viele nützliche Tipps. Schon vor mehr als zweitausend Jahren riet der chinesische Philosoph und General, auf den Zeitvorteil zu achten – „das heißt, dem Gegner ein wenig voraus zu sein“. Aventis brauchte Wochen, um sich vom Schrecken des Überraschungsangriffs Sanofis zu erholen und um seine Verteidigung aufzustellen. Schon verloren.

4. Zermürben Sie den Gegner. Überraschung ist nicht alles. Kriege dauern erfahrungsgemäß länger als erwartet und man weiß nie, ob die andere Seite nicht auch den alten Sunzi kennt. Sanofi-Synthélabo wäre jedenfalls zufrieden, wenn Aventis erst im Juni besiegt wäre. Werden Sie gefragt, warum sie nicht eine einvernehmliche Lösung mit dem gegnerischen Vorstand suchen, sagen Sie: „Weil es auf dem von uns gewählten Weg schneller geht“ oder es sei „besser für die Mitarbeiter“. Das versteht zwar niemand, ist aber schon deshalb gut. Die Leute beschäftigen sich mit solchen Widersprüchen gerne. Das lenkt Öffentlichkeit und Feinde vom Eigentlichen ab. Aber verwickeln Sie sich nur in Widersprüche, die Sie selber ausgeheckt haben. Selbstverständlich mindert die Zusammenlegung ihrer Forschungskapazitäten den Wettbewerb. Auch wenn Sie anderes in ganzseitigen Anzeigen behaupten und mit kranken Kindern bebildern. Diese heilige Kuh jeder Sonntagsrede Ihres Vorstandes interessiert aber Werktags niemanden mehr, wenn Sie es nicht übertreiben mit ordnungspolitischen Hinweisen.

5. Verwirren Sie die Politiker. Spielen Sie mit der nationalen Karte. Selbst hartgesottene Linke mögen französische oder deutsche Konzerne lieber als das US-Kapital. Kämpfen Sie unterschwellig, aber lautstark gegen die Amerikanisierung unserer Konzerne (auch wenn später wie bei Sanofi-Aventis deren gemeinsame Aktien an der Börse von jedem Ami zu kaufen sein werden, nach dem sich die Sanofi-Großaktionäre Total und L’Oréal wie geplant Ende 2004 zurückziehen).

Zitieren Sie Frankreichs Wirtschaftsminister Francis Mer. „Es ist klar, dass wir starke Akteure mit Weltniveau brauchen.“ Eben. Lassen Sie sich nicht von quengeligen deutschen Politikern irritieren. Es ist Superwahljahr. Auch Schröder, Clement oder Koch setzen unter der Hand längst auf die national-europäische Karte. Dazu wird im Mai das Fusions- und Kartellrecht weiter aufgeweicht.

Tatsächlich freuen sich die politischen Eliten und auch die Regierung heimlich über die „feindliche“ Fusion. Anstandshalber soll aber ein wenig deutscher Einfluss aus den Zeiten der Hoechst AG – aus welcher Aventis hervorging – erhalten bleiben.

Spielen Sie mit den Politikern. Notfalls hilft eine Ministererlaubnis aus, wie beim Energie-Monopoly von RWE und Eon, die nach etlichen Übernahmen heute drei Viertel des bundesdeutschen Strom-Geschäfts beherrschen. Ministererlaubnis-Müller ist heute Vorsitzender des Vorstands von RAG, mit 13 Milliarden Euro Umsatz größer als Sanofi. RAG gehört zufälligerweise RWE und Eon – Fusionen lohnen sich. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Notfalls geht es auch ohne Politiker oder Sie holen sie in den Aufsichtsrat, wie der Fusionskonzern AMB-Generali einen gewissen Helmut Kohl.

6. Verwirren Sie die Presse und spielen Sie mit diesen nützlichen Idioten. Lenken Sie die Diskussion. Nicht nur Sunzi ist Pflicht für Fusionisten, sondern auch Schopenhauer oder ein Besuch auf dem Wochenmarkt. Feilschen Sie! Dazu gehört am Anfang ein zu niedriger Preis. Fünf Sanofi-Aktien plus 69 Euro für sechs Aventis-Papiere addieren sich zwar nominell auf fast 50 Milliarden Euro, liegen aber tatsächlich kaum über dem aktuellen Börsenkurs.

Vodafone bot damals Mannesmann-Aktionären eine satte Prämie von 30 bis 40 Prozent an, Allianz den Dresdner-Bank-Anteilseignern auch. Darüber regen sich Bild und andere nützliche Idioten heftig auf, und bald wird die bundesweite Diskussion nur noch über den angemessenen Preis, nicht aber über Sinn und Unsinn einer feindlichen Übernahme geführt. Mit diesem Thema können Sie sich jederzeit wieder Aufmerksamkeit verschaffen, etwa indem Sie sagen: „Sanofi bleibt beim Angebot.“ Dem feindlichen Heerführer verschafft dieses Taktik die Chance, einzuknicken, ohne das Gesicht zu verlieren. Aventis-Chef Landau pries dann auch die Schönheit der Eigenständigkeit, nölte, „wir brauchen Sanofi nicht“, um dann Bereitschaft zur Aufgabe zu signalisieren: „Die Offerte von Sanofi ist unzureichend“, einfach zu billig. Später werden Sie dann nachlegen bis auf den ursprünglich geplanten Preis.

7. Achten Sie auf die Kosten. Geduld zahlt sich aus für Sie, ist aber auch teuer. Allein die eingekauften Fachleute und Investmentbanker verschlingen pro Mann mindestens tausend Euro – pro Tag. Selbst wenn aus der Eroberung nichts wird, kostet der Krieg locker drei Milliarden Franc, pardon 500 Millionen Euro. Das Preis-Leistungs-Verhältnis muss also während des gesamten Feldzugs stimmen. Notfalls rechtzeitig Verzichtsfrieden einleiten.

8. Schicken Sie Weiße Ritter ins Feld. Lancieren Sie möglichst dubiose Weiße Ritter, also angebliche Retter für das Opfer, die Aventis ein Gegenangebot machen. Die Weißen Ritter freuen sich über die öffentliche Beachtung, die Sie ihnen verschaffen, und die von deren eigenen Problemen ablenkt, und Ihre eigene Offerte wird angesichts der Luschen, die Sie als Weiße Ritter ins Rennen schicken, immer attraktiver.

9. Ach ja, das Ziel muss stimmen. Der Hinweis mit den Kosten wies Sie schon auf das eigentliche Ziel hin, das ist selbstverständlich nicht die feindliche Übernahme von Aventis oder sonst irgendwem. Die ist nur Mittel zum Zweck.

10. Darum: Das eigentliche Ziel geheim halten. Ihr ganzes Sinnen und Trachten muss auf eine Profitrate von 25 Prozent auf das eingesetzte Kapital ausgerichtet sein. Anders geht es im globalisierten Shareholder-Kapitalismus nicht mehr. Oder wollen Sie die Binnennachfrage ankurbeln? Für die Super-Profitrate eines Pharmakonzerns brauchen Sie neue Krankheiten, Medikamente und Patente, wie diejenigen aus dem Tüftelkeller von Aventis. Einen Großteil des gekauften Industriekonzerns werden Sie abstoßen. Aber das dürfen Sie noch nicht laut sagen. Stattdessen beten Sie in jedem Interview: „Beide Partner ergänzen sich“, „Synergieeffekte“ – die man wegrationalisieren kann – „gibt es kaum“. Eine feindliche Übernahme ist wie geschaffen für Ihr großes Gewinnspiel. Es geht zack, zack!, und Sie bleiben der Boss vom Ganzen. Solange der Spaß nur die Aktien Ihres Konzerns kostet, können Sie locker bleiben. Die lassen sich drucken. Geheim bleiben sollte auch, dass Sie nicht mehr an Wettbewerb und Kapitalismus glauben, sondern nur noch an eine Handvoll Konzerne, die sich den globalen Pharmamarkt, wie bei Öl, Auto oder Computer, demnächst aufteilen. Sie wollen überleben.

11. Machen Sie die feindliche zu einer freundlichen Übernahme. Wie jede Revolution als blöde Revolte von den Beobachtern böse abgekanzelt wird, wird auch Ihre Attacke auf einen Pharmakonzern zur feindlichen Übernahme runtergestuft – wenn es schief geht. Andernfalls ist sie nämlich eine freundliche Übernahme.

Schließlich hat die Mehrheit des gegnerischen Kapitals, was nicht das Gleiche ist wie die Mehrzahl der Aktionäre, freiwillig seine Aktien an Sie verkauft. Darum geht’s ja.