: Ein großer Baum fängt viel Wind
Ihr Lebenswerk ist der Kampf um das Holocaust-Denkmal. Wenn es darum geht, ist Lea Rosh nicht zimperlich. Fragen nach dem Warum regen sie auf. „Was soll das“, sagt sie, „ich nehme mir das Recht, mich zu engagieren.“ Rosh’ Gegner nennen dieses kämpferische Engagement Profilierungssucht
VON SUSANNE STIEFEL
Für das Aussehen kann keiner was. Ob dick oder dünn, blass oder braun, das regeln die Gene. „Na ja“, sagt Lea Rosh und fährt sich mit der Hand durchs dunkle Haar, „so richtig arisch seh ich ja nicht aus.“ Das klingt nicht so, als ob sie darüber unglücklich wäre.
Ja, die Menschen halten die Frau mit dem markanten Gesicht und der üppigen Mähne oft für eine Jüdin. Dann holt Lea Rosh ihr „Vierteljudentum“ raus und erzählt, dass der Großvater mütterlicherseits Jude war. Bei ihrem Kampf um ein Holocaust-Denkmal sind diese Familiengeschichten und dieses Aussehen zumindest nicht hinderlich. Und wenn es um ihr Lebenswerk geht, ist Lea Rosh, 67, nicht zimperlich.
Das kann sie sich auch nicht leisten. An der streitbaren Journalistin kleben viele Etikette: Sie ist wahlweise Mutter aller Mahnmale, Holocaustkassandra oder Berufsjüdin. Und das ist nur eine kleine Auswahl der Titel, mit denen sie im Lauf der Jahre von Gegnern bedacht wurde. Von jenen, die ihren leidenschaftlichen und lauten Einsatz für Profilierungssucht halten. Rosh winkt ab. „Das sind doch keine Argumente“, sagt sie und zitiert einen tröstenden Freund: „Ein großer Baum fängt viel Wind.“ Diese Frau weiß um ihre Bedeutung.
Und sie hat Bedeutendes vor. Seit 14 Jahren streitet sie für ein Denkmal für die sechs Millionen ermordeten Juden Europas. Es soll nicht irgendwo stehen, sondern mitten in der Hauptstadt, es soll nicht klein und bescheiden, sondern unübersehbar monumental sein, und es soll ausschließlich den europäischen Juden gewidmet werden. Die Geschichte des Denkmals – von der Gründung des Förderkreises 1988 bis zum Graffitischutzskandal um die Firma Degussa Ende 2003 – ist eine unendliche Geschichte hitziger Debatten.
Darüber, ob es eine adäquate Form der Kunst geben kann, die dem Erinnern an den Völkermord gerecht werden kann. Darüber, ob es nicht sinnvoll wäre, aller Opfer des Nationalsozialismus gemeinsam zu gedenken, statt nun einen Kranz von Denkmälern um das jüdische zu gruppieren: für die Sinti und Roma, für die Schwulen, für die Euthanasieopfer. Und nicht zuletzt darüber, wer eigentlich Lea Rosh das Recht gibt, sich zur Fürsprecherin der Juden zu machen.
Vor allem Letzteres bringt Lea Rosh auf die Palme. „Das ist doch Quatsch“, sagt sie mit dieser dunklen Stimme, die den Raum beherrscht, „was soll diese Frage? Ich nehme mir das Recht, mich zu engagieren.“
Da sitzt sie in ihrem Büro in der Gormannstraße in Berlin, drei Handys hat sie wie einen Schutzwall vor sich aufgebaut, nippt an ihrem Cappuccino und redet sich in Rage. Der Zeigefinger stößt nach vorn („Was haben Sie eigentlich gegen ein eigenes Denkmal für die Schwulen, sagen Sie mal?“), die Hand nestelt am Kragen der Bluse („Es gab unterschiedliche Verfolgungsgeschichten, das müssen die Deutschen doch endlich verstehen“).
80 Leitzordner füllt die Debatte inzwischen, Lea Rosh scheint sie alle im Kopf zu haben. Wer sich einmal dem Bombardement belehrender Argumente ausgesetzt sieht, versteht, womit sie sich das Etikett „deutsche Oberlehrerin“ erarbeitet hat. Lea Rosh lässt keinen Zweifel daran, dass sie weiß, was gut und richtig ist.
Diese Frau ist kämpferisch bis zur Herrschsüchtigkeit, leidenschaftlich bis zum Fanatismus, eloquent bis zur Einschüchterung. Dass ihr Eitelkeit nicht fremd ist, zeigt nicht nur die ausgewählt auffällige Eleganz ihrer Kleidung. Und doch: In einer Welt voller Jasager und stromlinienförmiger Mitschwimmer sind die Rosh’sche Hingabe und dieser kompromisslose Kampfgeist auch bewundernswert. „Wenn man die Sache freundlicher und geschmeidiger gemacht hätte“, sagt sie und lehnt sich kurz zurück, „hätten wir bis heute kein Denkmal.“ Da hat sie zweifellos Recht. Lea Rosh hat schon für ein Mahnmal gekämpft, als keiner ein Ohr dafür hatte. Und sie lässt sich nicht einschüchtern.
Warum also zieht diese Frau so vehement Kritik auf sich? Weil viele das Mahnmal nicht wollen, klar. Erinnern an die Gräuel des Nationalsozialismus wird in Deutschland nicht groß geschrieben. Doch das sind die, die anonyme Drohbriefe schreiben, ihre Reifen zerstechen. Daran hat sie sich gewöhnt. Weil die gelernte Journalistin weiß, dass ihr Anliegen Öffentlichkeit braucht, und sie sich im Rampenlicht ausgesprochen wohl fühlt. Das ruft Neid hervor. Und weil sie das Mahnmal nicht hergeben will. Die Stelen am Potsdamer Platz scheinen Lea Rosh zu gehören, und wer mitreden darf, bestimmt nicht zuletzt sie.
Der jüdische Autor Henryk M. Broder gehört nicht dazu, Paul Spiegel schon. Er hat Lea Rosh dazu gebracht, die umstrittenen Werbetafeln „Den Holocaust hat es nie gegeben“ abzuhängen. „Wenn mich der Vorsitzende des Zentralrats der Juden dreimal bittet, kann ich nicht Nein sagen“, sagt sie charmant lächelnd. Doch als der Vorsitzende noch Ignaz Bubis hieß und er den von Lea Rosh favorisierten Denkmalentwurf kritisierte, ließ sie ihn abblitzen. Dass der dennoch nicht verwirklicht wurde, lag an Helmut Kohl. Manchmal braucht es den Bundeskanzler, um diese Frau zu stoppen. Denn Lea Rosh hat das Denkmal für die Juden zu ihrem eigenen gemacht.
Das Foto einer älteren Frau hängt unübersehbar in ihrem Büro. „Meine Mutter war eine so schöne, gütige Frau“, schwärmt die Tochter. Die Mutter hat die vier Kinder sicher durch den Krieg gebracht, als Tochter eines jüdischen Vaters war sie immer wieder auf der Flucht. „Selbst wenn ich einen Mord begangen hätte, hätte meine Mutter noch gesagt: ‚Du hattest sicher deine Gründe‘“, meint Tochter Lea. So viel Hingabe ist von Freunden wohl kaum zu erwarten.
Die Mutter hat ihr auch den Namen Edith Ursula Renate verpasst. Ihre Zweitjüngste Lea zu nennen, traute sich die Mutter 1936 nicht, weil es so jüdisch klingt. Das hat die Tochter dann später einfach eigenmächtig korrigiert, womöglich, weil es so jüdisch klingt. Überhaupt die Sache mit dem Namen: Lea Rosh, sprich „Ros“, geht inzwischen gegen jeden gerichtlich vor, der behauptet, sie habe ihren Nachnamen hebräisiert.
Sie schleppt Stammbaum und Geburtsurkunde an, um mit dem Gerücht aufzuräumen, dass ihr Vater Rohs hieß und bei ihrer Geburt zwei Buchstaben vertauscht wurden. Dass Rosh auf Hebräisch „der Kopf“ bedeutet, ist ihr nicht unangenehm. Lea Rosh, protestantisch erzogen und nicht Mitglied einer jüdischen Gemeinde, schafft es, mit ihrem Aussehen und ihrem Namen etwas um sich aufzubauen, was sie für eine jüdische Aura hält.
Wenn Lea Rosh von ihrem Denkmal erzählt, ist nur von wir die Rede. Manchmal mag es der unbescheidene Pluralis Majestatis sein. Doch meist ist damit ihr Alter Ego gemeint: Der Stuttgarter Historiker Eberhard Jäckel sitzt immer mit im Boot,wenn es um das Holocaust-Mahnmal geht. Sie sind seit Jahrzehnten ein eingespieltes Team.
Der bedächtige Professor ist für den wissenschaftlichen Hintergrund zuständig, die gewiefte Journalistin für den medienwirksamen Vordergrund. Jäckel steht für Sachlichkeit, Rosh für Betroffenheit. Er steht am Katheder und sie vor Fernsehkameras. Das war schon so bei ihrem ersten gemeinsamen Projekt.
Während eines Symposiums hatten sie festgestellt, dass die Geschichte der in Europa ermordeten Juden nicht aufgearbeitet war. Der Professor organisierte daraufhin ein Seminar, die Journalistin machte daraus eine viel beachtete vierteilige Fernseh-Dokumentation. Das Buch zum Film „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ (1990) brachte dem erfolgreichen Duo den Geschwister-Scholl-Preis. Darauf legt Lea Rosh großen Wert: „Ich habe sieben Preise gewonnen.“ Wer sich viele Feinde macht, will zumindest ein bisschen Ehre.
Manchmal wird auch die Frau, die gut austeilen kann, dünnhäutig. Weil die Häme, die ihr entgegenschlägt, auch für eine Kämpferin wie sie schwer auszuhalten ist. Ende vergangenen Jahres hat die Berliner Zeitschrift Tip sie zur peinlichsten Berlinerin gewählt, eine Auszeichnung, die vor ihr Partygirl Ariane Sommer und CDU-Mann Frank Steffel ereilte. Auf dem Titelbild eine Karikatur von der „führenden Kraft der einheimischen Bewältigungsbranche“, beide Füße einbetoniert in die Stelen des Holocaust-Denkmals, hinten die rot untergehende Sonne, vorne ein Hund namens Adolf, der die rechte Pfote zum Hitlergruß hebt. Eine Freundin hat sie am Telefon getröstet mit den Worten: „Sei froh, dass du so berühmt bist.“
Diese Frau beschäftigt sich seit Jahren mit dem Tod. Wie geht sie mit dem eigenen Sterben um? Da ist keine Zeit für Angst, sagt sie, und außerdem: „Das ist ja noch lange hin.“ Möchte sie unsterblich sein? „Ich bin ja nicht überdreht. Wir Menschen sind nicht unsterblich. Punkt.“ Doch dann kommt sie ins Nachdenken. „Ich bin leider nicht so begabt wie Schubert, und ich bin auch nicht Goethe. Aber wir werden mit dem Denkmal diesem Land etwas hinterlassen, was noch lange, lange bleibt.“
Keine Scheu vor großen Vergleichen. Lea Rosh macht weiter.