: Hochnotpeinliche Befragung
Über das Vorgehen, mit Androhung von körperlichen Schmerzen ein Geständnis zu erzwingen, wird heftig gestritten. Die Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger fordert Anwaltspflicht statt Folterdiskussion
von ELKE SPANNER
Der Frankfurter Polizei-Vizepräsident Wolfgang Daschner wird in die Geschichte eingehen als jemand, der das Undenkbare zumindest zur Diskussion gestellt hat: die Wiedereinführung der Folter. Nachdem er den Entführer des Bankierssohnes Jakob von Metzler mit körperlichen Schmerzen für den Fall bedroht hatte, dass er das Versteck des Jungen nicht preisgebe, rechtfertigte Daschner dies damit, er habe keine andere Möglichkeit zur Rettung Jakobs mehr gehabt. Und löste damit eine Diskussion über die Frage auf, ob in solch unlösbaren Konflikten der Tabubruch nicht doch als letzte Chance genutzt werden sollte.
Die „Hamburger Arbeitsgemeinschaft für Strafverteidigerinnen und Strafverteidiger (AG)“ zieht aus dem Fall Daschner eine ganz andere Konsequenz: Statt über Folter zu diskutieren verlangt sie das Hinzuziehen eines Rechtsanwaltes mit Beginn der Vernehmung eines Festgenommenen. Diese Möglichkeit sei damals auch Daschner noch verblieben, als der Täter Magnus G. den Fundort des Jungen nicht nennen wollte. Und es scheine „nicht fern liegend“, so die AG, „dass ein rechtlicher Beistand seinem Mandanten raten würde, jedenfalls den Aufenthaltsort (des Entführungsopfers, d. Red.) preiszugeben, und sei es, dass dies anonym geschieht“.
Konstruktiver juristischer Beistand
Der in der AG engagierte Rechtsanwalt Ralf Ritter sagt, man müsse dem gängigen Bild entgegentreten, dass das Hinzuziehen eines Anwaltes zwangsläufig die Aufklärung eines Falles behindere. Zwar bestehe dessen Aufgabe durchaus darin, die Interessen seines Mandanten zu vertreten. Dennoch könnten durch den juristischen Beistand die Handlungsspielräume sogar größer werden. Ein Anwalt hätte den Entführer von Jakob unter Umständen darauf hingewiesen, dass er seine Position verbessere, wenn durch seine Aussage das Kind lebend wiedergefunden wird.
Beschuldigte haben vom Moment ihrer Festnahme an das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen. Die Polizei muss sie darüber belehren. Dennoch verzichten viele auf diese Möglichkeit, weil sie keinen Juristen kennen oder Angst haben, diesen nicht bezahlen zu können. Eine Pflicht der Polizei, juristischen Beistand zur Seite zu stellen, besteht hingegen nicht. Das aber ist eine alte Forderung von StrafverteidigerInnen. Zum einen wegen der psychologischen Wirkung, wie der Vorsitzende der AG, Wolf Dieter Reinhard, erklärt: „Im Beisein von Anwälten bricht die Polizei nicht das Recht.“ Zum anderen aber auch, so Anwalt Ritter, weil „der Beginn des Ermittlungsverfahrens der wichtigste Teil eines Strafverfahrens ist, in dem sich am meisten entscheidet“. Doch gerade in diesem Stadium seien die Rechte der Verteidigung am schwächsten.
Deshalb, so die Forderung, sollte Beschuldigten zumindest bei den Tatvorwürfen von Beginn an ein Anwalt gestellt werden, bei denen später vor Gericht ein Verteidiger beigeordnet wird. Das ist regulär bei allen Verbrechen, also Delikten, die mit mindestens einem Jahr Haft bedroht sind. Ab Anklagezustellung besteht der so genannte „Anwaltszwang“.
Körperlicher Zwang: Brechmittel
Dass sich in Hamburg sogar die Schill-Partei gegen die Wiedereinführung von Folter ausgesprochen hat, überrascht. Denn hier ist es durchaus üblich, körperlichen Zwang zur Überführung eines Straftäters einzusetzen: Mutmaßlichen Drogendealern werden Brechmittel eingeflößt, auch mit Fesselung und Nasensonde. Diese Fälle fallen streng juristisch zwar nicht unter Folter, sondern werden der Blutentnahme bei alkoholisierten Autofahrern gleichgestellt. Denn nicht die Willensfreiheit des Beschuldigten wird gebrochen, was Wesensmerkmal der „Folter“ ist, sondern es wird ein körperlicher Reflex ausgelöst. Laut Ritter aber wird in der Rechtswissenschaft zurzeit diskutiert, ob die Einsätze nicht zumindest einen Verstoß gegen die „Selbstbelastungsfreiheit“ eines Beschuldigten darstellen.
Die AG braucht keine Kategorisierung, um sich gegen die Einsätze auszusprechen. „Die Brechmittelvergabe ist eine körperliche Tortur“, so der AG-Vorsitzende Reinhard, „wir halten das für einen Verstoß gegen das Grundgesetz.“ Deshalb wäre es auch in diesen Fällen wünschenswert, dass dem mutmaßlichen Dealer ein Rechtsanwalt zur Seite gestellt wird.
Denn oft würde der Einsatz vom Staatsanwalt angeordnet, ohne dass die Polizei wirklich gesehen habe, dass ein Beschuldigter Drogen geschluckt hat. Ein Rechtsanwalt hätte zumindest die Möglichkeit, das Vorliegen der Voraussetzungen nachzuprüfen. Reinhard ist überzeugt, dass die Brechmittel in Anwesenheit eines Verteidigers zumindest nie unter Zwang, also mit Fesselung und Nasensonde, verabreicht werden könnten.