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Archiv-Artikel

Die schnelle Kampftruppe ist schon im Einsatz

Das Europa der zwei Geschwindigkeiten nimmt Gestalt an. In der Verteidigungspolitik sind Paris, Berlin und London bereits eifrig dabei, eine Achse zu bilden

BRÜSSEL taz ■ In der Europäischen Union geht es im Augenblick mal wieder zu wie auf dem Pausenhof. Die Freundschaften wechseln schneller als die Kleidermoden. Schröder, Blair und Chirac können plötzlich wieder ganz toll miteinander. Kaum kommen ein paar Neue in die Klasse, stecken die Widersacher von einst ganz wichtig die Köpfe zusammen – pubertäres Cliquengetue eben. Auch in der EU-Verteidigungspolitik. Die spielt zwar auf dem heutigen Gipfel nur am Rande eine Rolle, aber hinter den Kulissen haben die großen Drei die Rädchen schon in Bewegung gebracht. Beispiel EU-Hauptquartier: Auf dem so genannten Pralinengipfel hatten Deutschland, Frankreich, Belgien und Luxemburg schon verabredet, den obersten EU-Militärs in Tervuren bei Brüssel eine Residenz zu geben. Alles Schnee von gestern. Die Zwerge, mit denen noch vor knapp einem Jahr der Schulterschluss gegen den Krieg im Irak geübt wurde, fragen sich nun verdutzt, was sie falsch gemacht haben.

Auch die mit Vorschusslorbeeren überhäufte EU-Eingreiftruppe von 60.000 Mann, die innerhalb von zwei Monaten einsatzbereit sein soll, scheint plötzlich nicht mehr so viel versprechend. Bevor die Militärs in Brüssel Gelegenheit hatten, Einzelheiten zu Planung, Koordination und Einsatzmöglichkeiten zu erarbeiten, wird ihnen nun ein ganz anderes Konzept vorgelegt: Sieben bis neun „battle groups“ – Kampftruppen von jeweils 1.500 Mann – wollen Briten, Franzosen und Deutsche bereitstellen – für heikle Blitzeinsätze in Übersee.

Die 60.000 Mann waren für so genannte Petersberg-Aufgaben vorgesehen: Humanitäre Maßnahmen und friedensbewahrende Einsätze mit „robustem UN-Mandat“. Die nun geplanten Kampfverbände sollen von einzelnen Staaten oder von Staatengruppen entsandt werden. Sie sollen innerhalb von 15 Tagen einsatzbereit sein und bis zu vier Monate auf sich allein gestellt und in größerer Entfernung von Europa unter extremen Bedingungen Kampfaufträge erfüllen können. Militärs in den zuständigen EU-Ausschüssen erklären hinter vorgehaltener Hand, der Vorstoß aus London, Paris und Berlin habe sie irritiert. Völlig unklar sei, wer über den Einsatz dieser Truppen entscheide: Das entsendende Land, ein gemischter Stab aller beteiligten Regierungen oder der zuständige EU-Militärstab in Brüssel.

Der Vorstoß der drei großen EU-Länder macht zumindest eines deutlich: Mit der Erweiterung wird die Ungeduld einiger Länder wachsen, die Gemeinschaft in einzelnen Bereichen schneller voranzubringen. Wie die neuen Strukturen dieser verstärkten Zusammenarbeit parallel zu den schon bestehenden aussehen sollen, ist dabei völlig unklar. Dass ausgerechnet die Briten bei der neuen Verteidigungsinitiative die Antreiber spielen, ist ein Kuriosum am Rande. Schließlich waren sie es, die im EU-Konvent jede Initiative zu engerer außenpolitischer Zusammenarbeit blockierten. Aber Krieg ist ja bekanntlich die Fortsetzung der Außenpolitik mit anderen Mitteln. DANIELA WEINGÄRTNER