: „Die Industrie hat ein Leitprojekt vor die Wand gefahren“
Trotzdem will Ali Schmidt, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen, am Konzept Maut festhalten. Auch wenn es jetzt erst mal kreative Zwischenlösungen braucht
taz: Herr Schmidt, heute muss ein glücklicher Tag für Sie sein. Wie von Ihnen gefordert, hat Manfred Stolpe den Vertrag mit Toll Collect gekündigt.
Ali Schmidt: Unter einem glücklichen Tag stelle ich mir etwas anderes vor. Wir hatten die Wahl zwischen einer schlechten und einer noch schlechteren Variante. Die Kündigung war die logische Konsequenz aus dem jämmerlichen Versagen von Toll Collect. Da blieb keine andere Möglichkeit, als die Zusammenarbeit zu beenden.
Auch wenn die Vignette wieder eingeführt wird, bleibt ein Einnahmeausfall von 96 Millionen Euro monatlich. Machen Sie sich keine Sorgen um diese Finanzlücke?
Natürlich machen wir uns darum Sorgen. Unser Verkehrssystem verträgt es nicht, auf die 1,5 bis 2 Milliarden Euro, die aus den Mauteinnahmen investiert werden sollten, ersatzlos zu verzichten. Es sind zusätzlich zur Vignette Anstrengungen nötig, um die Einnahmeausfälle zu kompensieren. Da bin ich zu kreativen Lösungen bereit. Denn wenn nicht weiter in die Schiene investiert wird, hätte dies fatale Folgen. Für den Schienenfahrzeugbau, bei den Streckennetzen und natürlich auch für die Arbeitsplätze.
Wie könnten diese kreativen Lösungen aussehen?
Das könnte ein Mix aus verschiedenen Instrumenten sein. Der Finanzminister hat seinen maximalen Spielraum für Kreditaufnahmen nicht ausgereizt. Eine Neuverschuldung wäre also möglich. Auch eine Zwischenfinanzierung mit Geldern aus dem Finanzministerium wäre denkbar. Zudem könnten Bundesbeteiligungen privatisiert werden. Auf jeden Fall sollten wir unser Rekordniveau an Schieneninvestitionen von 4,5 Milliarden Euro im vergangenen und geplanten 4 Milliarden Euro für dieses Jahr mit Klauen und Zähen verteidigen.
Mit der Maut ist nun ein rot-grünes Lenkungsinstrument für eine ökologische Verkehrspolitik hin zu mehr Güterverkehr auf der Schiene gescheitert.
Nein, wir sind nicht damit gescheitert, dass mehr in die Schiene investiert wird. Bei beiden Verkehrsträgern, Straße und Schiene, müssen Finanzlücken gestopft werden. Doch der erreichte Gleichstand an Investitionen zwischen Schiene und Straße bleibt. Das Ärgerliche aber ist, dass ein Leitprojekt dieser ökologischen Verkehrspolitik von der Industrie vor die Wand gefahren wurde. Die Waffengleichheit zwischen Straße und Schiene wurde so auf Jahre zurückgeworfen. Denn ein Güterzug zahlt mit dem Trassenentgelt längst eine Maut. Lastwagen sind nun aber wieder auf Jahre entlastet.
Welches verkehrspolitische Konzept bleibt Rot-Grün nun noch für den Wahlkampf 2006?
Unser wichtigstes Konzept ist und bleibt die Maut, es wurde lediglich verschoben. Wenn neu ausgeschrieben wird, sollten wir auf ein bewährtes Modell setzen, nicht wieder auf eine Fata Morgana. Dann haben wir eine reale Chance, ans Ziel zu kommen. Denn es gibt Bewerber, die ein funktionierendes Mautsystem liefern können, siehe Österreich und Schweiz.
INTERVIEW: KATRIN EVERS
Fotohinweis: ALBERT „ALI“ SCHMIDT, 53, ist verkehrspolitischer Sprecher der Grünen