: Das Mark der Sozialdemokratie
Jutta Blankau, stellvertretende Landesvorsitzende der Hamburger SPD, zu Sonderparteitag, Mitgliederbegehren und der Notwendigkeit von Reformen: „Wir sind gewählt worden wegen unserer Position zu sozialer Gerechtigkeit“
Interview: VOLKER STAHL
taz hamburg: Warum ist Ihnen der vom Hamburger und einigen Landesverbänden geforderte Sonderparteitag der Bundes-SPD wichtig?
Jutta Blankau: Die Agenda 2010 enthält Punkte, die den Eindruck erwecken, dass die Partei sich von der Position der sozialen Gerechtigkeit entfernt. Ein solcher Kurswechsel darf nicht allein von Bundesregierung und Parteiführung bestimmt werden. Mit der Entwicklung müssen sich die Sozialdemokraten deshalb auf einem Parteitag auseinander setzen.
Parteilinke und die Basis der Sozialdemokratie mucken gegen den Bundeskanzler Gerhard Schröder auf. Sind das Zeichen für eine Entfernung zu Parteispitze und Regierung?
Soziale Gerechtigkeit hat im Bundestagswahlkampf eine große Rolle gespielt. Durch die Agenda 2010 werden aber Weichenstellungen gesetzt, die nicht durch das Wahlprogramm abgedeckt sind. Deshalb regt sich die Basis auf und reagiert besonders sensibel auf diese Entwicklung. Es darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass wir nicht nur wegen der Flut in Ostdeutschland wieder gewählt worden sind, sondern gerade auch wegen unserer Position zur sozialen Gerechtigkeit, die insbesondere durch den engagierten Wahlkampf der einzelnen Mitglieder deutlich wurde.
Ein Delegierter hat auf dem Hamburger Landesparteitag die beabsichtigten Änderungen der Regierung zu Lasten von sozial Schwachen und Arbeitslosen als „Wahlbetrug“ bezeichnet, für den der Kanzler die Verantwortung trage. Teilen Sie das?
So weit geht meine Kritik nicht. Allerdings haben wir im Programm zur Bundestagswahl die Rücknahme des von der Kohl-Regierung gelockerten Kündigungsschutzes betont und das als richtigen Weg bezeichnet, weil mit dieser Maßnahme die Arbeitslosigkeit nachweislich nicht zu bekämpfen ist. Und nun beschreiten wir ein halbes Jahr nach dem Gewinn der Wahl den gleichen Weg wie CDU und FDP damals. Daraus spricht doch eine gewisse Hilflosigkeit.
Was befürchten Sie durch eine erneute Lockerung des Kündigungsschutzes?
Das wird dazu führen, dass die Menschen in kleinen Betrieben zukünftig nur noch befristet eingestellt werden. Der Schutz greift dann nur noch in größeren Firmen.
Welche sonstigen Vorschläge des Kanzlers erregen Ihren Unmut?
Besonders die Frage nach der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Die jetzt berufstätigen Menschen haben jahrelang eingezahlt und werden bei künftiger Erwerbslosigkeit deutlich kürzere Bezugsdauern von Arbeitslosengeld haben. Davon sind vor allem ältere Arbeitnehmer betroffen, die nach einer Entlassung kaum noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Viele werden schnell sozial absinken. Weitere Knackpunkte sind die Krankengeldkürzung und die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf Sozialhilfeniveau – alles Dinge, die ans Mark der Sozialdemokratie gehen.
Fühlen Sie sich in der Sozialdemokratie als Gewerkschafterin bei Betrachtung dieses Horrorkataloges der SPD-geführten Bundesregierung eigentlich noch heimisch?
Neoliberale Tendenzen zeichnen sich seit einigen Jahren in der SPD ab, wobei es aber auch immer die Position gegeben hat, die ich vertrete. Die Sozialdemokratie ist nach wie vor meine Heimat. Ich wüsste nicht, in welcher anderen Partei ich mich sonst wiederfinden könnte. Und es gibt ja auch Positives zu vermelden: In der Regierungszeit zwischen 1998 und 2002 wurden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, die auch das Gewerkschaftsherz höher schlagen lassen. Ich erinnere nur an das Lohnfortzahlungsgesetz, das wieder geändert wurde.
Sind Sie zurzeit grundsätzlich gegen Reformen?
Nein, gar nicht. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die sagen, es müsse alles so bleiben, wie es ist und nur die Arbeitslosigkeit bekämpft werden. Reformen sind notwendig.
Aber welche könnten das aus Ihrer Sicht sein?
Aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit müssen wirtschafts- und finanzpolitische Schnitte gemacht werden. Im Bereich der Gesundheits- und Rentenreform müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Einnahmebasis verbreitern. Das kann über paritätische Finanzierung funktionieren, wobei alle Erwerbstätigen mit einzahlen müssten. Bisher tun das nur die abhängig Beschäftigten und deren Arbeitgeber. Das wäre ein Systemwechsel. Und man muss im Zuge der Europäisierung darüber nachdenken, ob nicht auch eine Steuerfinanzierung wie in Skandinavien in Frage kommt. Wir müssen für Deutschland das bestmögliche Modell finden. Das kann auch dazu führen, dass wir vom klassischen Modell abweichen.