: Bremens Existenz auf dem Spiel
Der Stadtstaat macht keinen Sinn, findet CDU-Mann Mathias Henkel, schade nur für die Parlamentarier – sie würden Stadträte. Und: Wer Schwarz oder Grün wählt, der wählt in Wahrheit Rot. Dabei wäre Schwarz-Grün „durchaus realistisch“
von Mathias Henkel
Zwei Aspekte im langsam anlaufenden Bürgerschaftswahlkampf sind bemerkenswert. Seit langem bekannt ist, dass die Bundeszuweisungen zur Entschuldung Bremens 2005 auslaufen. Ohne diese zusätzlichen Mittel ist Bremen nicht in der Lage, einen ausgeglichenen Haushalt aufzustellen – es wird zwangsläufig weitere Schulden machen müssen und in absehbarer Zeit politisch handlungsunfähig sein. Eine Anschlusslösung gibt es noch nicht. Die Existenz und die Selbstständigkeit Bremens stehen auf dem Spiel.
Man sollte erwarten, dass das Thema im Bremer Wahlkampf vorkommt und Lösungsvorschläge in die Diskussion gebracht werden. Mir ist kein plausibler und realistischer Vorschlag bekannt. Der Hinweis auf den Kanzlerbrief, in dem Gerhard Schröder zugesichert hat, Bremen werde durch die Steuerreform, der es im Bundesrat zugestimmt hat, keine Nachteile erleiden, ist zwar richtig, aber welche rechtliche Verbindlichkeit hat eine solche Absichtserklärung? Gerhard Schröder hat schon so einiges versichert – die CDU hat nicht ohne Grund im Bundestag einen Untersuchungsausschuss durchgesetzt, um die vom Kanzler vor der letzten Wahl gemachten Zusagen auf deren Wahrheitsgehalt überprüfen zu lassen.
Außerdem muss das Geld, das Bremen ab 2006 zusätzlich zufließen müsste, anderen genommen werden, die selbst große Finanzprobleme haben. Deren Begeisterung dafür dürfte sich in sehr engen Grenzen halten. Bei einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ist es durchaus denkbar, dass die RichterInnen zum Ergebnis kommen, das föderale System der Bundesrepublik sei zwar im Grundgesetz verankert, entbinde aber den Gesetzgeber nicht von der Pflicht, es so weiterzuentwickeln, dass die Lebensfähigkeit der einzelnen Bundesländer einer sich entwickelnden und verändernden Siedlungsstruktur folgend auch ohne Transferleistungen erhalten bleibt. In Bremen und Bremerhaven wäre das zum Beispiel längst überfällig, da die Landesgrenzen an vielen Stellen nicht mehr der tatsächlichen Entwicklung der Städte entsprechen. Sie durchschneiden schon jetzt gewachsene Siedlungsstrukturen (beispielsweise in Bremen in Grolland/Stuhr-Brinkum oder Mahndorf/Achim-Uphusen, in Bremerhaven in Leherheide/Langen). Lägen Bremen und Bremerhaven in einem der Flächenländer, wären im Rahmen der dort durchgeführten Verwaltungs- und Kommunalreformen längst die überfälligen Eingemeindungen erfolgt.
Auch in anderen Städten und Regionen Deutschlands leben BürgerInnen nicht unbedingt schlechter als in Bremen. Den Unterschied zwischen der Freiheit einer reichsunmittelbaren Stadtrepublik und der Unterdrückung bürgerlicher Freiheiten durch Feudalherren jenseits der Stadtmauern gibt es schon längst nicht mehr, und es spricht nichts dafür, dass es ihn jemals wieder geben wird. Was also bringt dem/der einzelnen BürgerIn das Festhalten an der Eigenständigkeit als Bundesland?
Selbstverständlich hätte eine Verschiebung von Ländergrenzen auch für die einen oder anderen im Lande Bremen Nachteile, das sei unbestritten. Würden die beiden Städte Bremen und Bremerhaven, die zusammen mal gerade die Einwohnerzahl einer mittleren Großstadt z. B. in Nordrhein-Westfalen aufweisen, in eine größere politische Einheit übernommen werden, wäre der Bremer Senat keine Landesregierung mehr und der/die einzelne Bürgerschaftsabgeordnete nur noch einfacher Stadtrat.
Es gibt aber auch noch andere Gesichtspunkte. Ein Beispiel: Würde die Zuständigkeit Bremens nicht an den gegenwärtigen Stadtgrenzen = Landesgrenzen enden, gäbe es dann überhaupt den aberwitzigen Vorschlag, ein stark frequentiertes und beliebtes Naherholungsgebiet in Citynähe wie die Uniwildnis zum Gewerbegebiet zu machen? An entsprechenden bereits erschlossenen Flächen jenseits der Grenzen von Bremen und Bremerhaven mangelt es schließlich nicht. Ein weiteres Beispiel: Großstädte in Flächenländern haben Nahverkehrssysteme, die nicht unbedingt an kommunalen Grenzen enden, sondern nachfrage- und kundenorientiert den wachsenden Siedlungsstrukturen folgen. Deshalb wird ihr Ausbau auch zum geringsten Teil von den Kommunen finanziert, sondern bis zu 90 Prozent von Bund und Land. Entsprechend leistungsfähig sind diese ÖPNV-Systeme. Die Straßen- bzw. Stadtbahn in Karlsruhe fährt weit ins Umland hinaus und verzeichnet steigende Fahrgastzahlen. Das entspräche einer häufig verkehrenden Stadtbahn von Bremen durch Bremen-Nord und Bremerhaven bis Cuxhaven – zurzeit nicht ansatzweise finanzierbar.
Es gibt noch einen weiteren einzigartigen Aspekt im bremischen Wahlkampf: Normalerweise wetteifern zumindest die großen demokratischen Volksparteien bei Wahlen darum, als jeweils stärkste politische Kraft aus der Abstimmung hervorzugehen Die kleineren entwickeln Konzepte mit eigenen unverwechselbaren Schwerpunkten, die sie dann als Duftmarke einbringen können. Im Lande Bremen ist das anders. Seit Anbeginn der Bundesrepublik Deutschland hat die SPD in Bremen und Bremerhaven die politische Hauptverantwortung gehabt. Auf entscheidenden Feldern wie der Wirtschafts-, Finanz- und Bildungspolitik hat sie das Land Bremen in die missliche Lage gebracht, in der es sich immer noch befindet. In allen anderen Regionen Deutschlands, in denen die SPD ähnliche „Erfolge“ aufzuweisen hatte, haben WählerInnen sie auf die Oppositionsbänke geschickt. In Bremen oder Bremerhaven steht das nicht einmal zur Diskussion. Stattdessen waltet an der Spitze der ältesten deutschen Stadtrepublik der gütige Monarch Henning Scherf, und niemand denkt daran, das in Frage zu stellen. Die beiden anderen derzeit in der Bürgerschaft vertretenen Parteien liefern sich lediglich einen Wettstreit um die Gunst der Braut. Niemand spricht über die durchaus realistische Chance einer schwarz-grünen Koalition. Das heißt, jede Stimme für die SPD, die CDU oder die Grünen ist unweigerlich auch eine für die Fortsetzung roter Regierungsverantwortung.
Dennoch glaube ich immer noch, auch in Bremen und Bremerhaven sei es vornehmste Aufgabe der Politik, sich wie in jedem anderen Dienstleistungsbereich kundenorientiert auszurichten, zumal sich die „Kunden“ ja nicht verweigern können. Das funktioniert aber nur im offenen Wettbewerb und nicht mit Monopolen. Für die Befürworter der Marktwirtschaft sollte das keine Neuigkeit sein.