: Erfundene Naturstimmungen
Eine Sonne aus monofrequenten Leuchtstoffröhren: Olafur Elliasons Rauminstallation „The Weather Project“ in der Tate Modern bringt Licht in den Londoner Winter. Doch der Künstler ist kein Illusionist, sondern will das Wetter und dessen Wahrnehmung zwischen Natur und Kultur ergründen
VON CHRISTOPH BRAUN
Es ist ungemütlich an diesem Wintertag, nass und kühl in Londons Southwark-Viertel südlich der Themse. Schulklassen werden am Rande der Touristenroute ausgesetzt. Durch dicke Regentropfen müssen sie von der London Bridge zu Shakespeares Globe Theatre wandern. Von dort aus geht es zur Millennium Bridge, wo der Lehrer mit einem Blick auf die Uhr entscheidet, dass noch Zeit für einen Besuch der Tate Modern bleibt. Und hier werden die Teens ausgerechnet von der Sonne überrascht. Olafur Eliasson hat sie am Ende der riesigen Eingangshalle als strahlend roten Ball gehängt.
Einstmals beherbergte die Halle die Turbinen der Bankside Powerstation, die vor vier Jahren zum Museum für Zeitgenössische Kunst umgebaut wurde. Die Dimensionen dieses Raums, der 155 Meter in der Länge, 23 Meter in der Breite und 35 Meter in der Höhe misst, sind überwältigend, atemberaubend, auch Furcht einflößend. Olafur Eliasson wagte mit seiner Installation etwas völlig Unwahrscheinliches. Der dänische Künstler isländischer Herkunft, der heute in Berlin lebt, verdoppelte den Raum, indem er die Decke durch Spiegel ersetzte.
Minimalste Mittel, Licht, Luft und Wasser reichen Eliasson für „The Weather Project“ aus. Sie summieren sich zu einer Naturstimmung, die ausschließlich Kunststimmung ist. Die Abendsonne aus monofrequenten Leuchtstoffröhren, wie sie bei den großen Straßenlampen benutzt werden, taucht den Raum in ein dreckiges Gelb. Den Längsseiten der Halle entlang speien kleine Drüsen Nebelschwaden aus, die sich allmählich in der Weite verflüchtigen. Man wird besänftigt, narkotisiert gar vom Natureindruck dieser Nicht-Natur. Anzugträger schlendern gemächlich über den mit Metallplatten belegten Boden. Die permanente Dämmerung verführt Pärchen zum Händchenhalten. Die Schulklasse zieht ein, die Schritte werden langsamer, man setzt sich, blickt sich um. Gespräche verlieren sich in der Höhe und der Tiefe der Halle.
Olafur Eliasson möchte aber über das Sensualistische seiner Installation weit hinaus. Er ist kein Illusionist, und daher kann man hinter die Sonne gehen, um die Lampenkonstruktion zu erkennen oder von oben auf den Himmel schauen. Für Aufklärung bürgt schon der Titel seiner Ausstellung, „The Weather Project“. Ein Projekt muss kalkulieren, informieren, Diskussionen generieren. So wird auch die Corporate Identity der Ausstellung – ihr Webauftritt, die grafische Gestaltung ihrer Informationen – betont schlicht designt. Überall in London sind Plakate in gelber Grundfarbe geklebt, auf denen in schwarzer Pünktchenschrift geschrieben steht: „47 % glauben, die Idee des Wetters in unserer Gesellschaft gründe sich auf Kultur. 53 % glauben, dass sie sich auf die Natur gründet.“
Es ist nicht das erste Mal, dass Eliasson sich mit den Elementen beschäftigt. „Your Sun Machine“ hieß eine Installation 1997 in Los Angeles, und im vergangenen Jahr gestaltete der 36-Jährige den Münchner Kunstbau zu einem Gletscher um. Die Elemente und mit ihnen das Wetter sind also das Thema, mit dem sich Eliasson ständig befasst. Doch er reichert seine Installation in der Tate Modern um qualitative und sogar quantitative Datenerhebungen zum Thema Wetter an. Sein Publikum ist eingeladen, auf der Website der Tate Modern eigene Geschichten zum Wetter zu erzählen. Die Daten sind Ergebnis einer bereits im Vorfeld der Ausstellung gestarteten Umfrage. Zu ihr gehören Fragen wie „In welcher Jahreszeit küssen Sie Ihren Partner am häufigsten?“ und „Was bevorzugen Sie: Gemälde mit Wolken oder Gemälde mit blauen Himmeln?“ Wie verschiedenartig solche Fragen in welchen Regionen der Welt beantwortet wurden, auch darüber informiert die Website.
„The Weather Project“ ist Teil einer von einem Seifenhersteller gesponserten Ausstellungsreihe. Jedes Jahr lädt das Zerealien- und Seifenunternehmen Unilever („Marken, die Ihre Familien ernähren und Ihre Häuser säubern“, so die internationale Homepage des Unternehmens) einen Künstler von Rang zur „Unilever Series“ in die Turbinenhalle der Tate Modern. Erste der Reihe und diejenige, die ein bleibendes Bild hinterlassen konnte, war Louise Bourgeois. Sie setzte im Mai 2000 drei Türme und eine Riesenspinne namens „Maman“ in die profunde Tiefe des Raums. Auf Bourgeois folgten Skulpturen von Juan Muñoz und Anish Kapoor.
Das Unilever-Sponsorenprogramm ist zunächst auf fünf Jahre beschränkt. Soeben ist die nächste und vorerst letzte Einladung in die Turbinenhalle der Tate Modern ausgesprochen worden: Im Herbst wird der Multimedia-Künstler Bruce Nauman diesen Raum bespielen, der zum Glücksfall für Eliasson und dessen Publikum geworden ist. Denn der Aufenthalt in der mit Wetter angereicherten Halle bleibt lange im eigenen Rezeptorensystem.
Als die Teens aus der Schulklasse sich in Pärchen aufgeteilt und schließlich fertig geknutscht haben, legen sie sich mit dem Rücken auf den Boden und lassen die Füße einander berühren: Oben an der Spiegeldecke erblicken sie sich jetzt als Teil einer Blumenblüte. So suggestiv also ist die Kunst von Olafur Eliasson, so sozial und so einfach.
Bis zum 21. März, Tate Modern, www.tate.org.uk/modern/exhibitions/eliasson