Profi durch und durch

Ein eher unkonventionelles Kirchenkonzert: Beck in der Kreuzberger Passionskirche

Beck ist ein Vollprofi. Wenn es ihn, wie an diesem Ostersamstag in Berlin, zu einem Soloauftritt in eine Kirche verschlägt, weiß er genau, wie er sich zu verhalten hat: respektvoll, aber skeptisch. Also schaut er sich in der Kreuzberger Passionskirche auffällig in allen Ecken um, fragt das Publikum, ob es sich wohl fühle und von überall gut sehen könne, und konstatiert, was dies doch für ein befremdlicher Ort sei! Allerdings würde man gerade Beck ohne weiteres zutrauen, ein sozusagen konventionelles Kirchenkonzert mit vielen Orgeln und Chorälen zu geben. Denn ob es nun seine Bühnenshows sind oder seine Musik: Beck ist immer für eine Überraschung gut. Er ist ein passionierter Eklektiker, dessen zahlreiche Rollenwechsel denen von Madonna kaum nachstehen.

Seit seinem Hit „Loser“ von 1994 gab er sich mal als sexy motherfucker, mal als driftender Bänkelsänger. Er war schon Aufzieh-Elvis, Mini-Sinatra und Generation-X-Ikone, und er hatte auch nichts dagegen, in einem westfälischen Schloss das Klaviersturzhappening seines deutschen Fluxus-Großvaters Al Hansen nachzuspielen. Beck kennt keine popistischen Heiligtümer, er vergreift sich lustvoll an jedem Sound und Stil, ob Folk oder Blues, ob Disco, Soul oder HipHop: deconstruction time again and again.

Da kann man natürlich auch auf die Idee kommen, dass Beck nun seinen Kirchenauftritt nützen würde, um der Popmusik einmal das Messianische vom Leibe zu reißen. Überall Erwecker, jedes Popkonzert eine Messe, zumindest in den Augen der Kritik. Aber Beck scheint danach überhaupt nicht der Sinn zu stehen. Kirche, Lagerhalle oder Zelt – das ist ihm an diesem Abend in Berlin trotz des zur Schau gestellten Skeptizismus völlig gleich. Er ist zwar betont nachlässig gekleidet, trägt eine speckige Lederjacke und hat die Jeans in grüne Gummibikerstiefel gesteckt, und er macht auch seine pointenlosen Witzchen über Ostern („Ich war heute zum ersten Mal in Ostberlin“). Vor allem aber geht es ihm um die Songs seines neuen, fast klassischen Folk-Albums „Sea Change“, die er live erstmals vorstellt und in denen er während des Konzerts vollständig aufgeht.

Song für Song wechselt er die drei akustischen Gitarren, probt hier ein bisschen – aha, so klingt das! –, covert dort Hank Williams (alter Held!), setzt sich bald ans Klavier und spielt das elegische „Lonesome Tears“ und zaubert schließlich unter der alleinigen Zuhilfenahme eines Akkordeons mit „Nobody’s Fault But My Own“ manche Schauer auf die Rücken seiner Zuhörerschaft.

Ein fast perfekt schönes Konzert, wären da nicht die paar von einem Drum-Computer begleiteten Spaßstücke gewesen. Entweder traut Beck seinen puren Folksongs nicht ganz. Oder er meint eben die üblichen Erwartungen an einen Popstar erfüllen zu müssen: Ein Beck-Konzert ohne „Loser“ ist dann kein richtiges Beck-Konzert. Vielleicht ist es auch nur eine Warnung an diejenigen, die glauben, der Mitdreißiger hätte mit seiner Rückkehr zum Folk seine Bestimmung gefunden und würde in Zukunft auf jedes Mätzchen verzichten. Der nächste, dann wieder völlig andere Beck aber kommt bestimmt! Auch „Sea Change“ ist nur so eine Phase! Beck ist eben ein Profi durch und durch.

GERRIT BARTELS