„Frauen rufen eher an und fragen eher nach“

Der BIG-Hotline für Opfer häuslicher Gewalt fehlt Geld für Beratung, schlägt Projektleiterin Irma Leisle Alarm

IRMA LEISLE ist Diplom-Sozialarbeiterin und Projektleiterin der BIG-Hotline, der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen.

taz: Frau Leisle, Sie fühlen sich genötigt Alarm zu schlagen, dass Ihre Arbeit gefährdet sei. Wie kommt’s?

Irma Leisle: Wir gehen auf die Barrikaden, weil unsere bisherigen Bemühungen keinen Erfolg hatten. Denn wenn wir für 2009 nicht zusätzliche Finanzmittel von der Senatsverwaltung erhalten, dann können wir unsere Arbeit nicht mehr so machen, wie sie notwendig ist.

Was heißt das konkret?

Die BIG-Hotline ist in Berlin die erste Anlaufstelle bei allen Fragen zu häuslicher Gewalt. Bei uns rufen gewaltbetroffene Frauen an, aber auch Personen, die im privaten oder beruflichen Kontext mit Fragen zu häuslicher Gewalt zu tun haben. Wir wissen, an wen sich Betroffene wenden müssen. Wir wissen, in welchem Frauenhaus sofort ein Platz frei ist. Wir sorgen dafür, dass Frauen sicher aus einem gewalttätigen Umfeld rauskommen. Auch in Zusammenarbeit mit der Polizei.

Dass es diese Anlaufstelle geben muss, ist doch von Senatsseite nicht in Frage gestellt.

Sicher, unsere Arbeit wurde immer mit großem Wohlwollen begleitet. Allerdings sehen wir einen Widerspruch zwischen Wertschätzung einerseits und fehlender Finanzierung andererseits.

Seit wie vielen Jahren hat sich Ihr Etat nicht erhöht?

Seit vier Jahren.

Was heißt das für die Arbeit der BIG-Hotline konkret?

Bisher sind wir jeden Tag von 9 bis 24 Uhr erreichbar. Im Jahr rufen hier mehr als 7.000 Menschen an und brauchen Unterstützung. Wenn wir nicht ausreichend finanziert werden, müssen wir am Sonntag zumachen.

Warum gerade am Sonntag?

Weil da am wenigsten Anrufe bei uns eingehen. Das war für uns das Kriterium. Aber wir sprechen hier immer noch von mehr als 600 Anrufen pro Jahr, die dann nicht mehr bedient werden können. Gerade am Wochenende sind wir die einzige Stelle in Berlin, außer der Polizei, wo sich Frauen hinwenden können. Wenn das wegfällt, das reißt ein großes Loch ins Unterstützungsnetz in Berlin. Eine Frau, die Gewalt erfährt, kann sich den Zeitpunkt, in dem zugeschlagen wird, nicht aussuchen.

Wie hat sich denn die Beratungsarbeit in den letzten Jahren verändert?

Wir kriegen mehr Anrufe.

Jede vierte Frau in Deutschland wird vom Partner misshandelt, jede siebte erfährt im Lauf ihres Lebens sexuelle Gewalt. Am heutigen Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen machen zahlreiche Aktionen auf das Problem aufmerksam. Zwischen 8 und 9 Uhr verteilen Berliner SPD-Abgeordnete Postkarten gegen häusliche Gewalt am Potsdamer Platz. Die Türkische Gemeinde in Deutschland verteilt um 13 Uhr am Kreuzberger Maybachufer Flugblätter und Einkaufswagenchips mit der Aufschrift „Keine Gewalt an Frauen“. In der Caritas-Klinik Pankow wird ab 19 Uhr über Stalking informiert. TAZ

Sind die Frauen selbstbewusster als früher und lassen sich weniger gefallen?

Ja, Frauen rufen eher an. Und sie fragen auch eher nach. Sie mögen das Wort Gewaltschutz nicht kennen, aber sie wissen, da gibt es doch etwas, das die Täter gesetzlich zwingt, die Wohnung zu verlassen. Es rufen auch mehr jüngere Frauen an. Wir deuten das so, dass ein Teil der Betroffenen es nicht mehr so lange in Gewaltbeziehungen aushält wie noch vor zehn Jahren.

Hat häusliche Gewalt neue Ausdrucksformen?

Wir bekommen zunehmend Anrufe von jungen Frauen, die mit dem Thema Zwangsverheiratung konfrontiert sind. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres waren das bereits 87 Fälle. Das ist unserer Erfahrung nach eine ziemlich hohe Zahl. Es ist gut, dass die Betroffenen wissen, dass sie bei uns anrufen können und dass wir sie unterstützen.INTERVIEW: WALTRAUD SCHWAB