: Zweiter Besuch einer Ausstellung
Eine Gruppe von Demonstrationsteilnehmern besucht die wieder aufgebaute Ausstellung in der Humboldt-Uni. Schüler und Ausstellungsmacher vereinbaren Zusammenarbeit
Paul schaut sich im Foyer der Humboldt-Uni um. Vor zwei Wochen war er schon einmal hier. Da drangen rund 1.000 Schüler am Rande einer Demonstration in die Uni ein. Und die hier hängende Ausstellung „Verraten und verkauft – Jüdische Unternehmen in Berlin 1933-1945“ wurde zerstört. „Ich habe den Raum ganz anders in Erinnerung“, sagt Paul. Die Ausstellungsbanner, die längst wieder von der Decke hängen, habe er damals gar nicht wahrgenommen.
13 von 16 Papiertafeln wurden bei der Demonstration für bessere Bildung zerstört. Die Schüler haben sich längst dafür entschuldigt – trotzdem bleibt das Unverständnis auf allen Seiten. Auf Initiative der Landesschülervertretung besuchte daher am Freitag eine Gruppe von Demonstrationsteilnehmern die Macher der Ausstellung.
Christine Kühnl-Sager ist noch immer über die Wut der Demonstranten schockiert. „Kalte Wut ist gut, um Ziele zu erreichen“, sagt die Mitarbeiter des Verein „Aktives Museum Berlin“, der die Ausstellung mitgestaltet hat. Aber wie es zu solch einer „blinden Wut“ gekommen ist, kann sie nicht verstehen.
„Es war so voll, dass nicht erkenntlich war, dass hier überhaupt eine Ausstellung ist“, erzählt einer der Schüler. Er ist groß, trägt eine Brille und wirkt keinesfalls dumm. Paul spricht von einem unbekannten Raum, den man betreten habe. „Ich wusste nicht, was jetzt passiert. Alle sind nach oben gestürmt.“
„Warum hat denn niemand eingegriffen?“, will Kühnl-Sager wissen. „Als ich das Gebäude verlassen habe, war hier noch nicht so eine Verwüstung zu sehen wie später in den Medien“, sagt der Junge mit Brille. Micha Schmidt von der Landesschülervertretung beklagt, dass er gar nicht habe eingreifen können. Die Polizei habe ihn auch als Mitglied der Demoleitung nicht mehr in die Uni gelassen. Das alles sei keine Entschuldigung, betont Schülervertreter Lee Hielscher. „Wir haben versucht rauszubekommen, wer verantwortlich ist. Aber inzwischen gibt es so viele verschiedene Versionen, dass wir nicht sagen können, welche stimmt“.
Die Ausstellung über die jüdischen Unternehmer basiert auf einem Forschungsprojekt von Christoph Kreutzmüller. „Wichtig ist, dass wir jetzt darüber reden“, sagt der wissenschaftlicher Mitarbeiter an der HU. Viele der jüdischen Familien, deren Geschichten er vorgestellt habe, hätten schockiert nachgefragt, ob auch ihre Tafel betroffen sei.
Im Gästebuch der Humboldt-Uni spiegelt sich der Ablauf der Geschehnisse wider. Erst findet sich dort viel Lob für die Ausstellung, dann haben die Demonstranten ihr Zeugnis hinterlassen: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut“, steht da in großen Buchstaben. Darüber klebt ein „Gegen Nazis“-Aufkleber der Antifa. Eine Seite weiter ist ein gedrucktes Schreiben der Hochschule eingeklebt, die sich bemühen will, „die Schäden schnell zu beseitigen“. Es folgen lange Aufsätze, die sich mit der Zerstörung beschäftigen.
Schüler und Ausstellungsmacher vereinbaren schließlich, die Debatte in die Schulen zu tragen. „Denkbar wäre, dass die Schüler selbst Tafeln zu jüdischen Unternehmern zur Ausstellung hinzufügen können“, regt Kühnl-Sager an. „Das Schöne an der Ausstellung ist der lokalgeschichtliche Ansatz“, sagt Kreutzmüller. „Jeder hat sofort einen persönlichen Bezug zu einer der Geschichten, weil die jüdischen Geschäfte in allen Stadtteilen waren“. Auch Paul erkennt eine Straße wieder. „Das ist schon irre“, sagt er begeistert. „Da gehe ich jeden Tag vorbei und habe nichts davon gewusst“. JANINE LAMANN