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Archiv-Artikel

Nur keine Panik

Aufbruch in Zeiten der Krise: Der Molotow-Club lässt sich nicht ins Bockshorn jagen und macht ein eigenes Label auf. Morgen wird die erste Platte mit einer Release-Party gefeiert

von Daniel Wiese

Ach Molotow-Club. Wenn es das Kellergewölbe auf der Reeperbahn nicht gäbe, müsste man es erfinden. Wunderbare Bands spielen dort, von denen manchmal noch kein Mensch gehört hat. Oft ist es trotzdem sehr voll, und die Schlange steht bis auf die Straße. Wer aber einmal von dem großen Club-Bauch verschluckt worden ist, will so schnell nicht mehr heraus.

Für alle, die gerne noch viel öfter in den Molotow-Club gehen würden, aber nicht dazu kommen, gibt es jetzt eine gute Möglichkeit. Die Möglichkeit heißt Molotow Records und ist das neue clubeigene Label. Ein Label zu gründen in einer Zeit, in der die Plattenindustrie in der Krise steckt, scheint verwegen. Doch Molotow-Chef Andi Schmidt sieht das eher gelassen. „Das ist doch die beste Gelegenheit, irgendjemand muss das ja weitermachen“, sagt er lakonisch, während er sich in einem verschrammten Sessel im Molotow-Büro fläzt.

Tatsächlich ist das finanzielle Risiko nicht sehr groß. Die Herstellungskosten für CDs lassen sich kalkulieren, und das Molotow-Büro ist schließlich schon da. Von innen sieht das Büro eher aus wie eine große WG, der Sessel, in dem sich Clubchef Andi Schmidt im Kapuzenshirt lümmelt, steht neben einem Bett. Darin schlafen sonst die auswärtigen Bands.

Und die Bands, die in den Club kommen, sind auch der Grund dafür, es mit dem Label zu versuchen. Warum, dachten die Molotow-Leute, sollen wir die Musik, die wir für den Club gut finden, nicht gleich als Platte herausbringen? Auslöser war die dänische Garagenband The Magic Bullett Theory, die bei ihrem Auftritt im Molotow alle begeisterte. Nur nicht die Vertreter der großen Plattenfirmen, die zwar angereist waren, aber Sätze sagten wie „Irgendwas stimmt mit dem Thema nicht“.

„So drücken die sich aus“, sagt Clubchef Andi Schmidt und grinst. Die Trägheit der großen Plattenfirmen mische sich in der Krise „mit der Panik, was falsch zu machen“. Eine Panik, die ein kleines Label wie Molotow Records nicht zu haben braucht. „Wir wollen ja nicht in die Top Ten“, sagt Andi Schmidt.

Um die typischen Anfängerfehler zu vermeiden, haben die Molotow-Leute jemanden ins Boot geholt, der sich auskennt: Thomas Ritter, den „Independent Platten-Mogul von Hamburg“ (Andi Schmidt). Mit Elbtonal, Stumble und String Records betreibt Ritter parallel drei kleine Labels, jedes für eine andere Musikrichtung. Ein viertes Label, das als Sprungbrett für Nachwuchsbands gedacht war, hat er dichtgemacht, den Molotwo-Records aber stellt er eine gute Prognose: „Bei allem Idealismus, die Idee, aus dem Club heraus Zusatzverwertungsmöglichkeiten zu schaffen, fand ich sehr schlau“, sagt Thomas Ritter, als er eine halbe Stunde später ins Molotow-Büro hereinschneit.

Zusatzwerwerungsmöglichkeiten, das ist kein schönes Wort, aber die Finanzen sollen schließlich auch stimmen. Im Übrigen ist auch bei Thomas Ritter Leidenschaft im Spiel, von der dänischen Garagenband war er total begeistert: „Das muss man einfach machen. Eine ganz fantastische Kapelle!“

Tatsächlich hört sich eine erste, noch ungemischte Probeaufnahme der Dänen viel versprechend an. Ein druckvoller Sound, zu dem man sich steil aufgestellte Gitarren vorstellen möchte – aber auf eine unpeinliche Art, falls das möglich ist.

Der Name der Band The Magic Bullet Theory bezieht sich übrigens auf die legendäre Kugel, die John F. Kennedy getötet und dabei noch andere Personen verletzt haben soll, wobei sie eine ellipsenförmige Flugbahn gehabt haben müsste. Dieser physikalische Unsinn soll im offiziellen Protokoll zum Tathergang gestanden haben. Woraus sich folgern lässt, dass man offiziellen Prognosen gegenüber immer misstrauisch sein muss, auch, was die Zukunft der Plattenindustrie betrifft.

Die erste Platte bei Molotow Records kommt allerdings nicht von den Dänen, sondern aus dem Molotow-Büro selbst. Dort arbeitet mit Mario Stresow der Drummer einer Hamburger Band mit dem einleuchtenden Namen One Two Three Four, und mit deren erster, nach hypnotischem Post-Punk klingender Platte You‘re ugly gibt auch das neue Label sein Debüt. Die Release Party ist morgen im Beat Club. Es muss ja nicht immer das Molotow sein.

Release Party: morgen, 23 Uhr, Beat Club